HISTORICAL JUBILÄUM Band 03
setzte seinen Krug mit Ale ab. „Leider nein. Ein anderes Schiff wird die Ladung befördern müssen. Morgen werde ich dem Earl of Alsmeeth einen Besuch abstatten und ihn fragen, ob wir ein paar Bäume schlagen dürfen. Schließlich gehören ihm sämtliche Wälder in Cornwall, und wir brauchen Holz, um die Undaunted instand setzen zu können.“
„Edwina Cannon hat mir ein bisschen über den Gentleman erzählt“, verriet Bethany, doch ihr Großvater winkte ab.
„Bitte, erspare mir Edwinas Bemerkungen, mein Mädchen. Ich werde Newt nach Alsmeeth schicken, um meinen Besuch anzumelden, und dann werde ich mir selbst ein Bild von dem Earl machen.“
Am nächsten Morgen saß die Familie noch beim Frühstück, als Newton bereits von seiner Visite bei dem Earl zurückkehrte.
„Nun, wie ist es dir ergangen?“, erkundigte sich Geoffrey Lambert.
„Es war recht seltsam“, begann Newt. „Zunächst einmal lehnte er es ab, mich überhaupt zu empfangen. Und dann ließ er mir durch seinen Diener ausrichten, er habe keinerlei Interesse daran, Holz zu verkaufen, egal zu welchem Preis. Und zum Schluss sagte man mir, der gnädige Herr lehne es grundsätzlich ab, Besuch zu empfangen. Tut mir leid.“
Darcy führte den aufgebrachten Newton zu einem Platz an der Frühstückstafel und goss ihm Tee in eine Tasse.
„Dann scheint ja Edwinas Einschätzung von Seiner Lordschaft doch richtig gewesen zu sein“, merkte Mistress Coffey an.
„Wieso? Was hat die dumme Gans denn gesagt?“, wollte Darcy wissen.
„Dass er nach Cornwall gekommen sei, um sich zu verstecken. Man erzählt sich, er habe einige Zeit im Fleet-Gefängnis gesessen wegen des Mordes an seinem Vater. Doch später sei er freigekommen, weil man ihn der Tat nicht habe überführen können. Außerdem hat sich seine Braut kurz vor der Hochzeitsnacht das Leben genommen.“
„Das ist ja entsetzlich!“ Darcy schob ihren Teller zur Seite. „Was bringt eine junge Frau bloß dazu, so etwas zu tun?“
„Vielleicht liebte sie einen anderen“, äußerte Miss Mellon verträumt. Diese Vorstellung entsprach ganz und gar ihrer romantischen Natur. Fast ihr Leben lang war sie dem Großvater der Lambert-Schwestern herzlich zugetan. Seit einiger Zeit trug sie statt ihrer gewöhnlichen langweiligen Kleider Gewänder in hellen Rosa- und Lavendeltönen, die zudem Schnitte nach der neuesten Mode aufwiesen. Das weckte bei den Mädchen den Verdacht, dass sich die beiden älteren Herrschaften auf ihre alten Tage doch noch nähergekommen waren. „Vielleicht war sie gegen ihren Willen zu dieser Verbindung gezwungen worden“, setzte Winifred Mellon noch hinzu.
„Das passiert doch ständig und überall“, murmelte Mistress Coffey vor sich hin. „Deshalb bringen sich Frauen aber doch nicht gleich um.“
Eine Weile herrschte Schweigen. Doch dann kam Bethany wieder auf das naheliegende Thema zurück. „Wir müssen eben jemanden außerhalb von Land’s End finden, der uns das Holz für die Instandsetzung des Schiffs verkauft.“
Ihr Großvater nickte. „Newt und ich werden unten im Ort einige Erkundigungen einziehen.“ Er erhob sich vom Tisch. „Es ist wirklich schade, dass diese bislang so friedliche Gegend plötzlich gleich von zwei missmutigen Gentlemen heimgesucht wird. Einer ist ein Earl, der andere ein Lord.“ Auf die fragenden Blicke ringsum ergänzte er: „Ein Lord der Nacht.“
Alle lachten erleichtert auf, froh darüber, dass die allgemeine Spannung wenigstens für den Moment aufgehoben wurde.
Nur Bethany verfiel erneut in Grübeleien, die ihr in der vergangenen Nacht stundenlang den Schlaf geraubt hatten. Ihre Gedanken schweiften ab zu einem dunklen, geheimnisvollen Mann, bei dessen Berührung sie bislang ungeahnte Bedürfnisse, die sie nicht beim Namen nennen konnte, verspürte.
Kane Preston stand auf dem Balkon seines Schlafgemachs und sah blicklos auf die reizvolle Landschaft. Er hatte so sehr gehofft, hier, wo er als Kind so viele glückliche Sommermonate verbracht hatte, ein wenig Ruhe zu finden. Doch für seinen Kummer gab es keinen Trost. Weder in den sanften grünen Hügeln noch in den kühlen Wäldern. Und auch nicht an der Felsenküste.
Er glaubte, noch den Widerhall fröhlichen Gelächters im Haus zu hören. Doch das war ein Trugschluss. Die Mauern quälten ihn mit ihrer Stille.
Kane erkannte, dass er die Pein in sich trug. Sie lag wie ein schwerer Stein in seiner Brust, und wo er ging und stand, spürte er den Schmerz und sah die Gesichter jener vor
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