Historical Lords & Ladies Band 38
Konzentration störte.
Die Papiere und die Päckchen hatten mehr denn zwölf Jahre lang vergessen in der Schublade gelegen und konnten auch noch ein wenig länger dort bleiben, bis die Wettfahrt vorbei war. Dann musste John von ihrer Existenz informiert werden, und ihm stand die Entscheidung zu, was mit ihnen zu tun sei. Cassie glaubte zu wissen, wie seine Entscheidung ausfallen würde, konnte sie jedoch nicht vorwegnehmen.
Schließlich ließ sie die Hände sinken und richtete sich im Sessel auf. Vorläufig musste sie die Last ihres Wissens allein tragen. Langsam schob sie die Papiere und die anderen kleinen Schätze, die sie gefunden hatte, zusammen, denn sie konnte sie nicht in der unverschlossenen Schublade lassen.
Sie holte ihr neues Reisenecessaire, eines der vielen Geschenke, die John ihr zur Hochzeit gemacht hatte. Es hatte ein Schloss, gewiss kein sehr widerstandsfähiges, aber da es ihr Eigentum war, würde kein Mitglied des Haushaltes versuchen, es ohne ihre Erlaubnis öffnen zu wollen. Sie machte das Schloss auf, legte sorgfältig die Papiere und Päckchen in das Reisenecessaire und verschloss es. Einen Moment lang dachte sie nach und ließ es dann für jedermann sichtbar stehen. Es zu verstecken, hätte Anlass zu Bemerkungen gegeben, und das wollte sie nicht.
Und dann, erfüllt von ihrem Wissen, ging sie nach unten und benahm sich so ahnungslos, wie es ihr möglich war, um sich John gegenüber nicht zu verraten, als sie ihn bei der Rückkehr von einer weiteren Unterrichtsstunde mit Mr Dickson begrüßte.
Der ton war ganz aus dem Häuschen über die Wettfahrt zwischen Lord Devereux und Colonel Spence. Es sollte an der Westminster-Brücke beginnen, und abgesehen von den beiden Hauptakteuren und deren Hilfskräften würde es bestimmt viele Zuschauer geben. Enorme Geldbeträge waren gewettet worden, ein Großteil von Colonel Spence selbst, der nicht glauben konnte, dass der Earl of Devereux, der so lange bei der Mannschaft gedient hatte, wirklich einen Gentleman übertrumpfen könne, der sein Leben lang kutschiert hatte.
Praktisch waren Dev und Dickie die einzigen Leute, die keine Wetten auf das Rennen abschlossen. Dickie war nach Brighton abgereist, nachdem er dafür gesorgt hatte, dass an der Straße von London nach Brighton an den drei Haltepunkten die Ersatzpferde und zusätzlichen Reitknechte aus den Stallungen des Earl of Devereux platziert waren. Bedienstete des Earl waren auch nach Brighton geschickt worden, um in dem Haus, das er an der Marine Parade gemietet hatte, nach dem Rechten zu sehen.
„Ich habe Vorkehrungen getroffen, dass du und Stroody einige Tage nach dem Wettrennen, sobald die ganze Aufregung sich gelegt haben wird, nach Brighton kommen könnt“, verkündete John beim Abendessen vor der Wettfahrt der Gattin, um sie zu besänftigen.
Sie musste nicht besänftigt werden, aber das konnte er nicht wissen. Nachdem sie die Briefe seiner Mutter gefunden hatte, war ihr klar geworden, dass ihre Verärgerung darüber, zurückbleiben zu müssen, kindisch war. Stattdessen neigte sie mit graziösem Lächeln den Kopf. „Danke für deine Rücksicht, John. Das ist sehr nett von dir.“
Scharf schaute er sie an. Er war nicht daran gewöhnt, dass sie ihm so leicht zustimmte, und fragte sich unwillkürlich, woher der Wind wehe. Ihr Lächeln war jedoch so süß und unschuldig – er hatte keine Ahnung, was das für ein Kunstwerk war –, dass er sich vollkommen täuschen ließ und befand, sie sei anderen Sinnes geworden. Als sie sich zur Nacht zurückzogen, gab er ihr, bevor er sich von ihr trennte, einen freundschaftlichen Kuss und sagte: „Es tut mir leid, dass ich dich enttäuschen muss und du nicht nach Brighton reisen kannst, um das Ende des Wettrennens mitzuerleben, aber ich freue mich, dass du meine Entscheidung doch noch so gut aufnimmst.“
Streng hielt er sich vor, das, was er für Cassie empfinde, habe nichts mit Liebe zu tun, denn Liebe war eine Illusion, die, wenn man sie nicht aufgab, nur zu Kummer und Schmerz führte. Mehr noch, der Kuss, den er Cassie soeben gegeben hatte, brannte ihm auf den Lippen, hatte die Gattin jedoch offensichtlich gänzlich unberührt gelassen.
Er konnte nicht wissen, dass sie genauso empfand wie er, denn sie hatte ihm nicht zu erkennen gegeben, wie sehr er sie berührt hatte. Was sie für ihn empfand, war ihm unbekannt; was er für sie zu empfinden begann, war … Er weigerte sich, sich die Wahrheit einzugestehen.
Daher suchten beide einsam ihr
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