Historical My Lady Spezial Band 1 (German Edition)
Sie betrachtete Graces elegante Erscheinung in dem kobaltblauen Morgenrock.
Schuldbewusst errötete Grace bis unter die Haarwurzeln. Sie fühlte sich sehr gut, hatte die Ausrede aber benutzt, um heute nicht wieder Zeit mit Arabellas Bruder verbringen zu müssen. Nicht dass Lucian St Claire und Lady Arabella heute die einzigen Besucher gewesen wären. Außer ihnen hatte Grace auch einige junge Männer kommen sehen, die sie gestern Abend kennengelernt hatte und die ihr heute einen Besuch abstatten wollten.
„Mein Bruder Sebastian und auch Sir Rupert und Lord Gideon sind sehr enttäuscht darüber, dass Sie unpässlich sind“, fuhr Arabella augenzwinkernd fort, als hätte sie Graces Gedanken gelesen. „Lucian geht im Salon auf und ab wie ein Tiger im Käfig, so sehr regt ihn Ihre Abwesenheit auf.“
Grace wich ihrem forschenden Blick aus. „Das kann ich mir nicht vorstellen.“
Was Arabella zum Lachen brachte. „Ich versichere Ihnen aber, dass es so ist.“ Sie ließ sich auf den Rand der Chaiselongue sinken. Als Grace ihre Röcke beiseiteschob, um ihr Platz zu machen, fiel das Buch auf den Boden.
„Na, so was, Grace!“ Arabella bückte sich, um es aufzuheben. „Jetzt glaube ich aber doch, dass Sie einfach nur Ihre Besucher meiden wollten.“
„Ganz und gar nicht.“ Diese junge Frau war entschieden zu scharfsinnig, fand Grace, nahm ihr das Buch ab und legte es auf den Tisch neben sich. „Mir wurde nur ein wenig langweilig, einfach nur hier zu liegen und mich mit nichts zu beschäftigen.“
Arabella zwinkerte ihr neckend zu. „Aber die Alternative war gewiss auch nicht besonders angenehm, stelle ich mir vor.“
„Ich weiß wirklich nicht, was Sie meinen, Lady Arabella …“
„Nenn mich doch bitte Arabella. Schließlich werden wir bald Schwestern.“ Arabella lächelte nachsichtig. „Ich glaube, ich würde Lucian auch aus dem Weg gehen, wenn ich der Grund für seine finstere Laune wäre.“
Also war er immer noch wütend auf sie. Dann war es ja gut, dass sie beschlossen hatte, für den Rest des Tages auf ihrem Zimmer zu bleiben.
„Obwohl ich sagen muss“, fügte Arabella nachdenklich hinzu, „dass es eine große Erleichterung ist, dass er überhaupt irgendwelche Gefühle zeigt.“
Grace horchte auf. „Was meinst du damit?“ Lucian hatte ihr gegenüber vom ersten Augenblick an heftigste Gefühle offenbart. Die Höflichkeit, mit der er sie begrüßt hatte, hatte sich sehr schnell gewandelt in Ärger, Begierde und Wut – vor allem Wut!
„Nun … Oh, ein weiterer Besucher!“, rief Arabella aufgeregt, als sie durchs Fenster eine Kutsche vor dem Stadthaus der Carlynes vorfahren sah. „Glaubst du, es ist noch einer deiner Bewunderer, bei dem mein Bruder wieder vor Eifersucht mit den Zähnen knirschen wird?“, fragte sie lachend, und beide Frauen sahen neugierig hinunter und warteten, dass der Insasse der Kutsche entstieg.
Grace schüttelte matt den Kopf. „Du verstehst meine Beziehung zu deinem Bruder nicht, Arabella. Unsere Verlobung ist … wurde durch Ereignisse verursacht, die ich weder mit dir noch sonst einem Menschen besprechen kann.“
„Du meinst die Gerüchte, nicht wahr? Mir ist einiges davon gestern Abend bei der Gesellschaft der Countess of Morefield zu Ohren gekommen“, sagte Arabella mitfühlend. „Aber wie ich den Klatschbasen sehr deutlich erklärt habe, hat Lucian in den letzten zwei Jahren keinen Hehl daraus gemacht, dass er sich nicht so viel um die Regeln der Gesellschaft kümmert.“ Sie schnipste mit den Fingern.
„Nicht um seinetwillen vielleicht“, meinte Grace verlegen. Gab es denn niemanden, der diese Gerüchte nicht gehört hatte? „Aber um der Freundschaft willen, die ihn mit meiner Tante und meinem Onkel verbindet, und um den Schaden zu verhindern, den mein Ruf erlitten hätte, wenn … nun ja, wenn er mir keinen Antrag gemacht hätte …“
„Ach was! Lucian würde nie … So was, ich glaube, das ist doch tatsächlich Lord Darius Wynter!“ Arabella blickte auf die Straße, wo ein Gentleman endlich aus der Kutsche stieg.
Auch Grace erkannte Lord Darius, den zweitältesten Bruder von Onkel George. Das Sonnenlicht ließ sein goldblondes Haar aufleuchten, als er Hut und Stock einem der bereitstehenden Diener reichte. Plötzlich sah er zum Haus hinauf, sodass die beiden Frauen sein edles, attraktives Gesicht und die eindrucksvollen Augen sehen konnten, die vom gleichen Kobaltblau waren wie Graces Morgenrock.
Schuldbewusst wich Arabella vom Fenster
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