Historical My Lady Spezial Band 1 (German Edition)
tränennass. „Oh, Lucian!“ Reeves gelang es gerade noch, zur Seite zu treten, da stürzte Grace schon herein und warf sich Lucian in die Arme. „Es ist zu fürchterlich!“, schluchzte sie und klammerte sich an ihn. „Und ich bin schuld! Ich allein bin schuld!“
Eine wütende oder trotzige Grace konnte er ja noch verstehen, wenn auch nicht mit ihr fertigwerden. Aber wenn sie weinte, war er völlig hilflos. Er warf Reeves einen Rat suchenden Blick zu, während er sie unwillkürlich an sich drückte. Sie barg das Gesicht an seiner Brust und fuhr fort, bitterlich zu weinen.
Der Butler sah nicht weniger ratlos aus. „Ich werde die Zofe in die Küche bringen, Mylord, damit Sie in aller Ruhe mit Miss Hetherington sprechen können.“ Damit trat er hastig den Rückzug an.
Deserteur, dachte Lucian verächtlich und sah Grace betroffen an. Sie fühlte sich so zart in seinen Armen an, so zerbrechlich, und ihr verzweifeltes Schluchzen traf ihn zutiefst.
Selbst einige Minuten später, als er sie zu einem Sessel geführt, sich gesetzt und sie auf seine Knien gezogen hatte, wollten ihre Tränen noch immer nicht nachlassen. Er wusste, irgendetwas musste er tun oder sagen. „Grace, ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass noch sehr viel mehr Tränen in dir sein können, wenn ich vom feuchten Zustand meines Hemdes ausgehe!“
Langsam kam Grace zu sich und wurde sich bewusst, wo sie sich befand und was sie tat. Sie betrachtete Lucians weißes Hemd. Feucht war weit untertrieben. Das feine Material war so nass, dass es an seiner Haut klebte und die dunklen Härchen darunter sich deutlich abzeichneten.
Lucian hatte Gehrock, Weste und Krawattentuch ausgezogen und trug nur noch die cremefarbene Hose und das jetzt feuchte weiße Hemd. Ganz offensichtlich hatte er keinen Besuch mehr erwartet, und gewiss keinen, der ihn mit seinen Tränen ertränkte!
Verlegen versuchte sie aufzustehen, als ihr klar wurde, dass sie schamloserweise auf seinem Schoß saß.
„Nein, nicht bewegen“, befahl er und schlang die Arme fester um sie. „Jetzt, da du etwas ruhiger bist, möchte ich, dass du genau da bleibst, wo du bist, und mir sagst, was dich so bekümmert.“
Sofort füllten ihre Augen sich wieder mit Tränen, als ihr erneut einfiel, was sie hergeführt hatte. Zu Lucian. Zu dem Mann, mit dem sie sich ständig zankte, dessen Stärke sie aber keinen Augenblick bezweifelte. Zu dem Mann, den sie vielleicht sogar liebte …
Sie schluckte mühsam. „Mein Onkel … hatte eine Art … Anfall. Der Arzt … er ist nicht sicher, ob er sich davon erholen wird!“ Wieder liefen ihr heiße Tränen über die Wangen. „Und es ist alles meine Schuld, Lucian!“
„Grace, ich muss darauf bestehen, dass du dich beruhigst“, sagte er absichtlich streng. Streng genug, um den Tränenfluss ein wenig zu hemmen, wie er hoffte. „Ich kann nichts tun, um dir zu helfen, wenn du weiterhin auf diese unwürdige Weise heulst“, fügte er barsch hinzu, als seine erste Bemerkung nicht zu fruchten schien.
Damit schien er zu ihr durchzudringen, denn Grace hob empört den Kopf. „Heulen, Sir? Damen heulen nicht!“
„Für gewöhnlich nicht“, meinte er nur ungerührt.
Sie errötete. „Ich heule nicht!“
Worauf er lächelte. „Ob du heulst oder nicht, spielt keine Rolle, denn meine Bemerkung hatte zumindest den gewünschten Effekt, nicht wahr? Du hast aufgehört zu weinen, und mein armes Hemd überlebt diesen Besuch vielleicht doch noch.“
Nach einem vorwurfsvollen Blick löste Grace sich von ihm und stand auf. „Es ist sehr grausam von Ihnen, mich aufzuziehen, wenn Sie doch sehen können, wie erschüttert ich bin.“
Lucian musterte sie nachdenklich. Nichts an ihr erinnerte im Moment an die elegante, modische Grace Hetherington, die sie in den letzten Tagen hier in London geworden war. Ihr Haar war zu einem ausgesprochen zerzausten Knoten hochgesteckt, ihr Gesicht fleckig, die Augen rot vom Weinen und das blassblaue Kleid ab der Taille zerknittert. Aber sie begann sich wieder zu fassen, stellte er erleichtert fest. Das gewohnte Funkeln lag wieder in ihrem Blick, und die Wangen bekamen wieder Farbe.
„Es war wirklich grausam“, gab er zu. „Effektiv, aber grausam.“
Sie presste kurz die Lippen zusammen. „Mylord …“
„Wir werden uns doch heute nicht wieder streiten“, tadelte er. „Der Duke of Carlyne ist krank, sagst du?“
Sofort vergaß sie ihren Ärger über Lucian und dachte an die fürchterliche Begebenheit in Carlyne House.
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