Historical Platin Band 04
schon eingenommen?“, erkundigte sie sich, leicht verwirrt ob der Berührung seines warmen Mundes.
„Ja, ehe der Tag bläute“, antwortete er. „Ich wollte noch mit Messire Jerome einen Rundgang machen und die Wehrhaftigkeit der verbleibenden Burgmannen prüfen. Wir können aufbrechen, sobald Ihr dazu bereit seid.“
„Ich bin reisefähig“, erwiderte Mellisynt klopfenden Herzens und wandte sich den zum Abschied versammelten Menschen zu, die so lange ihre einzigen Gefährten gewesen waren. Das Kammerweib, das zu alt war, um Mellisynt auf dem Ritt zu begleiten, fiel weinend vor ihr auf die Knie. Sie beugte sich zu Amrosine, half ihr auf und schloss sie in die Arme. Lange Zeit hindurch hatte sie sich gewünscht, Trémont den Rücken kehren zu können, doch nun überraschte es sie, wie schwer es ihr fiel, von den ihr vertrauten Menschen Abschied nehmen zu müssen. Sie herzte die Kammerfrau ein letztes Mal, sagte ihren bisherigen Untergebenen Lebewohl und wandte sich dann schließlich lächelnd an den Kapellan: „Möge der Allmächtige Euch vor Schaden bewahren, Pater Anselm.“
„Und möge Er Seine schützenden Hände über Euch halten“, erwiderte er. „Denkt stets an das, was ich Euch gelehrt habe.“
Der Klang seiner Stimme hatte jeder Herzlichkeit entbehrt. „Wie könnte ich Eure Ermahnungen je vergessen?“, äußerte sie und schaute ihn unschuldsvoll an. „Ihr seid doch sehr streng mit mir verfahren.“
Verstimmt errötete er, furchte die Stirn und verbeugte sich knapp.
„Wir müssen uns sputen, Madame!“, warf Richard ungehalten ein.
Widerstrebend erfüllte Anselm die ihm noch verbleibende Pflicht. Unwillig legte er der Burgherrin die Hände auf den gesenkten Kopf, bat den Allmächtigen um Schutz für eine sichere Reise des Seigneur und seiner zukünftigen Gemahlin und erflehte dann Seine Huld, auf dass ihr Schoß in dieser Ehe fruchtbar sein möge.
Im Stillen schickte sie ein Stoßgebet zum Schöpfer, Er möge ihren Leib segnen, straffte sich und ließ sich von Messire Edgemoor zu ihrem von einem Knecht gehaltenen Pferd geleiten. Es war hoffentlich nicht so wild, wie es den Anschein erweckte. Sein Blick wirkte bösartig, doch das allein war kein Anlass, sich vor dem Zelter zu ängstigen.
Der Mann hatte Mühe, ihn an den Aufstiegstein zu führen, wiewohl er ihn zerrte und beschimpfte. Offensichtlich war das Tier ebenso abgeneigt, sich reiten zu lassen, wie es Mellisynt davor grauste, auf ihm zu sitzen. Jäh fühlte sie die Hände feucht werden und wischte sie hastig am Schultermantel ab.
„Hilf der Herrin!“, befahl Richard einem Pagen.
Sie und der Junge zuckten gleichzeitig zusammen. Der braunhaarige Knabe näherte sich ihr, verbeugte sich und hielt ihr, sie erwartungsvoll anschauend, die Planchette hin. Tief durchatmend, stellte sie sich auf den zwei Fuß hohen Aufstiegstein, setzte den rechten Fuß auf die hölzerne Stütze und zog ihn verstört zurück, weil der Zelter unvermittelt zur Seite tänzelte.
Stirnrunzelnd ging Richard zur anderen Seite des schnaubenden Rosses und drückte es mit der Schulter wieder zum Aufstiegstein.
Erneut hielt der Page Mellisynt die Planchette hin. Diesmal gelang es ihr, mit den Füßen sicheren Halt auf der Stütze zu finden, die Hürde zu ergreifen und sich in den Seitensattel zu setzen.
Unwirsch schaute Richard sie an.
Sein Gesicht hatte einen gequälten Ausdruck, und die Übernächtigung war ihm deutlich anzusehen. Mellisynt lächelte verlegen.
Er schüttelte den Kopf, wandte sich ab und ging zu seinem Ross. Unterstützt von seinem Knappen, schwang er sich mit einer Leichtigkeit, die in starkem Widerspruch zu seiner kräftigen Gestalt und der schweren Rüstung stand, in den Sattel.
Auf sein Zeichen hin setzte der Tross sich in Bewegung. Mellisynt schaute nicht zurück, als der Knecht ihren Schimmel in den äußeren Vorhof führte. Selbst wenn es ihre Absicht gewesen wäre, einen letzten Blick auf den Palas und die davor ausharrenden Menschen zu werfen, hätte sie sich nicht getraut, da sie die volle Aufmerksamkeit auf den unruhigen Wallach richten musste. Sie klammerte die Hände fest um den vorderen Sattelbogen und machte sich auf den steilen Abstieg von der Veste gefasst.
Von den Hufen losgetretenes Geröll kullerte den Weg hinunter oder verschwand zur Rechten in dem Abgrund, auf dessen Sohle der Fluss dahinrauschte. Einmal geriet der Zelter gefährlich nahe an den Rand, und fluchend drängte der Knecht ihn auf den Pfad zurück.
Richard
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