Historical Platin Band 04
schien, klang die Wehe ab, doch schon einen Moment später setzte die nächste ein.
Alles verschwamm ihr vor den Augen, sie rutschte weiter vor, bis sie ganz ausgestreckt auf den Planken lag, raffte die Röcke über die Oberschenkel. Nun stand die Geburt ihres ersten Kindes unmittelbar bevor. Sie war allein auf einem fremden Schiff, ohne Beistand einer erfahrenen Wehmutter, und der Gatte befand sich in diesem Augenblick womöglich in den Händen des Herzogs.
„Heilige Jungfrau Maria“, wisperte sie bang, „steh mir bei!“
Mellisynt hörte Schritte und öffnete die Augen. Vor ihr stand eine hochgewachsene, breitschultrige Gestalt. Angestrengt versuchte sie, sie zu erkennen. Der Mann hockte sich neben sie und ergriff ihre Hände. Seine verschlissene Cotte war schmutzig und blutbefleckt, und unwillkürlich fragte sich Mellisynt, warum er verletzt war.
„Ruhig, ganz ruhig“, sagte er besänftigend und strich ihr zart über die Wange.
Jäh begriff sie, dass der Gatte bei ihr war, und diese Erkenntnis verlieh ihr Kraft. „Dem Himmel … sei … Dank … dass … du da … bist“, stammelte sie und schrie auf, weil sie unvermittelt das Gefühl hatte, innerlich zu zerreißen.
„Lass nicht nach!“, sagte er eindringlich. „Der Kopf des Kindes ist bereits zu sehen.“
Sie merkte, dass sie schwächer wurde, und zwang sich, alle Kraft, die ihr noch verblieben war, zu sammeln. Wider Willen entrang ein gellender Schrei sich ihren Lippen, während sie spürte, wie das kleine Lebewesen sich ans Licht der Welt drängte.
Behutsam nahm Richard es in die Hände, ein winziges Geschöpf mit blaurotem Gesicht, ein Mädchen. Staunend schaute er es flüchtig an und legte es dann vorsichtig der ermatteten Gemahlin auf die Brust.
Sacht tastete sie nach dem Säugling und wisperte: „Was ist es, Richard?“
„Eine Tochter“, antwortete er, während er die Nabelschnur durchtrennte.
Glücklich drückte sie sich langsam auf den Ellbogen hoch, umfasste zärtlich das leise wimmernde Bébé und flüsterte selig: „Ich danke dir, Richard, für dieses Kind.“
19. KAPITEL
„Wie könnt Ihr so ruhig sein?“, fragte Mellisynt den Gatten, der vor dem Kamin stand und sehr gelassen wirkte.
„Regt Euch nicht auf“, erwiderte er beschwichtigend. „Ich werde bald wissen, welches Los mir beschieden ist. Der König hat gewiss schon vor Wochen darüber entschieden.“
„Die Ungewissheit ist mir unerträglich“, murmelte Mellisynt. „Warum hat er uns gegenüber nicht andeuten lassen, wie er über Euer Ersuchen befinden wird?“
„Vermutlich hat er sich mit dem Prinzen Geoffroir in Verbindung gesetzt, um dessen Meinung einzuholen, sodass er bisher keine Stellungnahme abgeben mochte.“
„Ich wünschte, Ihr hättet damals diesen liederlichen, verkommenen Menschen getötet!“
„Ich war der Ansicht, die Mutterschaft mache ein Weib sanftmütig und nachgiebig“, entgegnete Richard und schüttelte befremdet den Kopf. „Ihr hingegen seid mit der Zeit reizbarer und kämpferischer geworden.“ In den verflossenen Monaten hatte er sich mehr und mehr über die Capricen der Gattin gewundert. Statt sich über die gelungene Flucht aus der Bretagne und das gesunde Kind zu freuen, war sie zunehmend hitzköpfiger geworden und hatte sich ihm weiterhin verweigert. Ihm war klar, dass sie nach der Geburt der Tochter eine gewisse Zeit der Ruhe benötigte, doch ihr fortdauerndes abweisendes Verhalten wollte ihm nicht in den Sinn.
„Ich verstehe nicht, warum Ihr Monsieur le Duc verschont habt“, äußerte sie ärgerlich.
„Das habe ich Euch bereits mehrfach erklärt“, antwortete Richard seufzend. „Ich bin nicht willens, es noch einmal zu tun.“
„Dann lasst es bleiben!“, ereiferte sie sich, wandte sich ab und ging rastlos im Raum auf und ab.
Richard wusste, sie vermochte sich nicht damit abzufinden, dass er dem Herzog das Leben geschenkt hatte. Auch er fragte sich manchmal, ob er richtig gehandelt habe. Vielleicht bereute er eines Tages die Weichheit, die ihn veranlasst hatte, dem vor ihm liegenden Gegner nicht die Kehle zu durchstoßen.
Mellisynt kehrte zum Gatten zurück und sagte verstimmt: „Ihr hättet Euch nicht so widerstandslos dem Gesandten des Königs und dessen Eskorte ergeben sollen. Warum habt Ihr ihm Edgemoor überantwortet?“
Schweigend zuckte Richard mit den Achseln und ließ den Blick durch die karg eingerichtete Kammer schweifen. Er war nicht in der Stimmung, zum
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