Historical Platin Band 04
entfaltet und sie beide darin eingehüllt. Sie würde ihm nie gewachsen sein, hatte er höhnisch verkündet und hinzugefügt, er werde warten, bis sie älter und reif für die Bedürfnisse eines Mannes sei, dann wiederkommen und sie für sich beanspruchen.
Sie rieb sich die Arme und versuchte, nicht an das Gefühl seiner starken, sie grob vom Pferd hebenden Hände zu denken. Knarrend hatte sich das Tor des Stiftes, ihres Gefängnisses, auf seinen Befehl hin aufgetan. Sie erinnerte sich der vielen auf dem Hof vor dem Gästehaus versammelten Reisigen und flüchtete sich in Gedanken erneut in die Sicherheit des Schlafsaales. Das Gesicht ihres Verlobten hatte sie nie gesehen. Bestraft worden war sie nicht. Es war lediglich angeordnet worden, dass jemand von der Klostermauer aus sie im Auge behalten musste, wenn sie das Stift verließ. An jenem Abend hatte sie von seiner Muhme den Beinamen erfahren, der ihm von ihrer Sippschaft gegeben worden war. Die Rache, die er an ihrem Clan genommen hatte, war tatsächlich so gnadenlos gewesen, dass man ihn mit Fug und Recht den „Grausamen Laird“ nennen durfte.
Die Glocke verkündete die neunte Tagesstunde. Erschrocken sprang Seana auf, glättete den Rock und beeilte sich, damit sie nicht zu spät zur Andacht kam. Mistress Fiona würde in der Kirche sein, gekleidet in eine Cotardie mit eng geschnürtem Mieder und langer Schleppe. Seana blickte auf ihr schlichtes graues Wollkleid. Leider besaß sie nur zwei Gewänder. So musste also ihr Stolz sie schützen. In der Gewissheit, dass er genügen würde, brach sie zum Kloster auf.
Der Stolz war nicht genug. Er ließ Seana sich höchstens nach der schlaflos verbrachten Nacht vor dem ersten Hahnenschrei erheben. Sie strählte sich das zerzauste Haar und betete darum, die Zunge im Zaum halten zu können. Mistress Fionas boshafte Äußerungen hatten am verflossenen Abend dazu geführt, dass sie schmachvoll des Speisesaales verwiesen worden war. Ihr unbotmäßiges Verhalten würde sie nun wahrscheinlich der Möglichkeit berauben, die Kirmes zu besuchen. Darauf hatte Mistress Fiona es bestimmt von vornherein abgesehen gehabt.
Seana behagte es nicht, die Mutter Oberin und die frommen Frauen, die ihr nur Wohlwollen bewiesen hatten, verärgert zu haben. Sie spürte die Zornesröte in die Wangen steigen und fragte sich verbittert, wie viel noch zu ertragen sie wohl imstande sei. Es war kein Geheimnis, welches Los ihr an Master Micheils Seite bevorstand. Das jedoch aus Mistress Fionas Mund zu hören und zu der Erkenntnis zu kommen, seine Base warte nur darauf, damit sie ihn für sich hatte, war einfach zu viel gewesen. Seana hatte mit einer Heftigkeit reagiert, die ihr selbst fremd gewesen war.
„Es könnte sein, dass Master Micheils Rachegelüste sich gegen Euch kehren“, hatte sie zornig geäußert. „Ihr standet ihm die ganze Zeit zur Verfügung. Wenn ein anderes Mädchen ihm das Lager wärmt, könnte das sein Untergang sein. Ihr seid alt, Mistress Fiona. Ein Mann muss blind sein, wenn er sich an jemanden wie Euch binden will.“
Beinahe hätte sie sich erdreistet, sie eine Hure zu nennen. Der Ausbruch hatte jedoch gereicht, und sie war schmachvoll des Speisesaales verwiesen worden. Sie wusste, in Zukunft musste sie die Zunge im Zaum halten. Nun würde sie teuer dafür bezahlen, dass sie sich nicht beherrscht hatte.
Im Verlauf des Vormittags wurde sie zur Mutter Oberin bestellt und zog es vor, stehen zu bleiben, statt sich auf den ihr zugewiesenen Schemel zu setzen. Vielleicht war dieses neu gewonnene Selbstbewusstsein darauf zurückzuführen, dass sie an diesem Tag ein weiteres Lebensjahr begann. Oder es lag an den tags zuvor belebten Erinnerungen. Jedenfalls war sie nicht willens, sich einschüchtern zu lassen. Schweigend wartete sie geduldig darauf, dass die Ehrwürdige Mutter das Wort an sie richtete.
Das Sonnenlicht flutete in den Raum und malte flirrende Kringel auf die unebenen, gefegten Steinfliesen. Die aus glatt gemeißelten Quadern bestehenden Wände waren bis auf das hinter der Mutter Oberin hängende Kruzifix kahl. Darunter stand der Betschemel. Nach einem Verstoß gegen die Regeln des Klosters hatte Seana viele Stunden kniend im Gebet verbracht. Die an einer Seite des Raumes stehende hölzerne Truhe war schmucklos. Nur der reich geschnitzte Tisch und der Fauteuil, in dem die Ehrwürdige Mutter hoch aufgerichtet saß, zeugten vom Reichtum des Stiftes.
Sie war hager und hatte wie ihr Bruder Ingram blaue Augen. Im
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