Historical Platin Band 04
sagte: „Sie sind sauer, aber beim Essen kann man sich einbilden, sie wären mit Honig gesüßt. Im Stift habe ich mir das oft eingeredet.“
„War die Ernährung so schlecht?“
„Die Tafel im Haus meines Vaters bog sich jedes Mal unter den Speisen. Man kann sie nicht mit der im Kloster gebotenen Atzung vergleichen.“ Die Erinnerung an das Gelage bei der Vermählung des Bruders tat Seana weh, und rasch verdrängte sie die trüben Gedanken. Hastig beugte sie sich vor und schöpfte mit den hohlen Händen Wasser aus dem Bach.
Micheil konnte nicht widerstehen und drückte ihr einen Kuss auf den Nacken. „Mein Durst muss ebenso gestillt werden wie deiner“, sagte er dann lächelnd.
Sie war nicht fähig, etwas zu erwidern. Um ihn abzulenken, schöpfte sie erneut Wasser und hielt es ihm hin.
Er spürte, dass sie sich der wachsenden Anziehungskraft zwischen ihnen bewusst war. Er sah es an ihrem verhangenen Blick, aus dem gleichzeitig Furcht sprach. Er beugte sich tief vor und schlürfte das Wasser aus ihren Händen. Sie atmete schneller, und das machte ihn zufrieden. Ihre Hände waren nicht so fein wie die einer vornehmen Frau, und dennoch sehnte er sich danach, sie auf sich zu fühlen. Von sich ihm willig darbietenden Lippen hatte er Wein gekostet, doch das ihm nun in solcher Unschuld offerierte Wasser berauschte ihn viel mehr. Er leckte die letzten Tropfen von Seanas Händen, spürte sie erbeben und drückte ihr einen Kuss auf die Innenseiten. „Ich danke dir, Seana, dass du mir einen so süßen Kelch gereicht hast“, sagte er leise.
„Ich bitte Euch, sprecht nicht so“, erwiderte sie und legte ihm die Hand auf die Brust. „Ihr tut mir etwas an, das ich mir nicht erklären kann.“
„Dann werde ich mich bemühen, es dir zu erläutern“, erwiderte er und sehnte sich danach, sie zu küssen, sie zu lehren, auf seine und nur seine Minneglut einzugehen. Er schaute auf ihren sich unter dem schlichten Kleid heftig hebenden und senkenden Busen, legte ihr die Hand auf die linke Brust und musste den Drang bezwingen, sie zu besitzen. „Seana“, sagte er spröde.
„Nein“, erwiderte sie rasch. Die Gefühle, die sie überkommen hatten, waren zu stark und verstörend. Hastig entzog sie sich ihm.
„Möchtest du mich küssen, Seana?“, fragte er rau, ohne den Blick von ihren Augen zu wenden.
„Ich will keinen Mann. So das der Preis ist, den Ihr dafür verlangt, mich heimzubringen, muss ich Euch mitteilen, dass ich ihn nicht entrichten werde.“
„Ich will nicht deinen Körper als Entgelt dafür, dass ich dir helfe“, entgegnete Micheil. „Bleib hier und kühle deinen Fuß im Wasser.“ Er stand auf, schaute sie an und fuhr fort: „Ich werde genügend Beeren sammeln, damit du deinen Hunger stillen kannst.“
„Auch den Euren.“
Er warf den Kopf in den Nacken und lachte. „Du bist zur Verführerin geschaffen, Seana“, erwiderte er schmunzelnd. „Die Beeren sind zwar reif, aber nicht die süße Frucht, die den Hunger eines Mannes zu stillen vermag.“
Sie glaubte ihm. Seine Warnung blieb ihr im Gedächtnis haften, als man aufbrach. Die Sonne senkte sich am Horizont. Seana wusste, ihr blieb keine andere Wahl, als James nachts, wenn er schlief, zu verlassen. Sie berührte das Heft des Dolches und war beruhigt. Sie konnte nicht viel ihr Eigen nennen. Sobald sie beim Bruder war, würde er danach trachten, sie zu vermählen, damit er sich mit einer anderen Sippe verbünden und gemeinsam mit ihr gegen die MacGlendons zu Felde ziehen konnte.
Seana würde nur ihre Unberührtheit in die Ehe einbringen. Für einen Mann wie James durfte sie ihre Maidschaft nicht hingeben, ganz gleich, wie sehr seine Nähe den Schlag ihres Herzens beschleunigte. Sie war froh, dass er den in der Landschaft erkennbaren Sprengeln stets auswich. Der Tag neigte sich, und erneut merkte sie, wie hungrig sie geworden war. „Werden wir bald rasten?“, erkundigte sie sich.
„Ja, sobald ich eine Furt durch den Spey gefunden habe. Der Regen hat ihn anschwellen lassen, und ich will nicht, dass wir von den Fluten mitgerissen werden.“
Wenn man bald beim Spey war, konnte Pluscarden nicht mehr weit fort sein. Endlich wusste Seana, wo sie sich befand. Sie würde den Moray Firth umrunden und sich dann nach Norden halten müssen, um Craigell Castle zu erreichen. Erfüllt vom großen Sehnen, die Gegend wiederzusehen, in der sie sich als Kind aufgehalten hatte, bemühte sie sich, die Erinnerungen zu unterdrücken. Der langsame Passgang des
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