Historical Platin Band 04
Zelters machte sie schläfrig.
Micheil war nicht entgangen, dass sie, nachdem er ihr mitgeteilt hatte, wo man sich befand, hellhörig geworden war. Er war sicher, dass sie an Flucht dachte. Indes gehörte sie ihm. Und was das Seine war, ließ er sich nicht nehmen.
Der Wind machte sich auf und trieb feuchte Luft vom Meer herüber. Seana zwang sich, nicht einzuschlafen, und befürchtete, James werde einstweilen nicht anhalten. Die Dunstschwaden ließen nur die nähere Umgebung erkennen. Ohne Orientierungshilfen konnte Seana jedoch nicht erkennen, wie weit er landeinwärts ritt. Überraschenderweise hielt er ein Weilchen später doch an, saß ab und hob sie vom Pferd.
„Warte hier!“, befahl er. „Ich beschaffe uns Wegzehrung.“
„Ich soll hier warten?“ Ungläubig schüttelte sie den Kopf. „Mitten im Moor?“
„Ja, genau deshalb“, antwortete er, schwang sich in den Sattel und trieb den Schimmel an. „Du kannst mir nicht fortlaufen“, rief er über die Schulter zurück.
„Ich werde nicht ausharren!“, ereiferte sie sich, schaute ihm hinterher und überlegte, wie er hatte ahnen können, was sie beabsichtigte. Das schwindende Tageslicht und die wallenden Nebelschwaden machten sie frösteln. Sie konnte nur einen Fußweit sehen. Wenngleich James glaubte, sie könne ihm nicht entwischen, würde sie ihn eines anderen belehren. Sie musste diese unverhoffte Möglichkeit zur Flucht nutzen. Allen Mut zusammennehmend, drehte sie sich um und ging den Weg zurück, den man hergeritten war. Sie bewegte sich langsam und bedächtig und begann schnell zu frieren. Doch selbst die Kälte konnte sie nicht davon abhalten, den Vorsatz auszuführen.
Nicht nur die Furcht, die MacGlendons würden sie und James fassen und ihn töten, war der Grund, die Flucht anzutreten. Sie ängstigte sich auch vor den ihr unerklärlichen Regungen, die James in ihr auslöste. Sie leugnete nicht, dass er etwas Seltsames ausstrahlte. Ihr waren sogar Zweifel gekommen, dass er ihr seinen richtigen Namen genannt hatte. Anlass dafür war seine zielstrebige Art gewesen, durch die Lande zu reiten.
Plötzlich verdunkelten Wolken den zunehmenden Mond, sodass Seana nichts mehr erkennen konnte. Der Geruch des Meeres wurde stärker, und auch der Wind frischte auf. Seana kamen die oft erzählten Geschichten von den Sidhen, Irrlichtern und Elfen in den Sinn, die nachts das Moor unsicher machen sollten. Sie verdrängte das Grausen und dachte an die Kindheit, an Orte, wo sie gespielt hatte, an die Menschen, die wiederzusehen sie sich erhoffte. Dennoch konnte sie den Gedanken nicht unterdrücken, sie habe törichterweise den einzigen Platz verlassen, wo sie sicher gewesen wäre.
Aus der Ferne drang schauriges Geheul zu ihr herüber, und die Vorstellung, wilde Bestien könnten sie umkreisen, erschreckte sie bis ins Mark. Unvermittelt hörte sie von weit her ihren Namen rufen und wusste, dass James sie suchte. Nur einen Herzschlag später vernahm sie bösartig klingendes Knurren, und vor Angst stiegen ihr die Haare zu Berge. Das Tier musste in ihrer Nähe sein. Sie blieb stehen und wagte nicht, den Weg fortzusetzen. Rasch zog sie den Dolch aus der Scheide und wappnete sich innerlich gegen den Angriff der heranschleichenden Bestie. Ihr war klar, dass sie sich gegen eine Raubkatze nicht behaupten konnte, und sehnte sich nach James, damit er ihr beistand.
„Geh langsam rückwärts“, rief er ihr zu. „Ich bin hinter dir.“
„James?“, fragte sie ungläubig.
„Ja“, antwortete er. „Tu, was ich gesagt habe. Der Luchs ist sprungbereit. Spute dich!“
Der beschwörende Ton, in dem er gesprochen hatte, ließ die Starre von Seana abfallen. Jetzt war nicht der richtige Moment, James zu fragen, wie er sie entdeckt hatte. Nun musste sie seinem Befehl gehorchen. „Ich sehe nichts“, sagte sie verstört, ging einen Schritt zurück und schrie auf, als James sie am Arm ergriff und hinter sich riss. Der verletzte Fuß schmerzte fürchterlich. Sie fiel aufs Knie und bemerkte im selben Augenblick einen auf James zuhetzenden Schatten.
Micheil kniete sich hin, die Schwertklinge steil nach oben gerichtet. Die Spitze bohrte sich der Raubkatze in die Brust.
Seana schloss die Augen und drückte die Hände auf die Ohren, um das grausige Fauchen des sterbenden Tieres nicht hören zu müssen.
Micheil stieß dem Luchs den Hirschfänger in die Kehle, zog ihn heraus und riss dann das Schwert aus dem Leib der verendenden Wildkatze. Laut pfiff er dem Hengst, da Seana
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