Historical Saison Band 06
aufrechtzuerhalten.“
„Aber wenn Sie das alles wissen, verraten Sie mir doch bitte, wo er sich befindet, Sir. Ich muss sofort zu ihm!“
„Das kann ich leider nicht, Miss Devereaux. Ich habe nicht das Recht, Ihnen das zu verraten. Aber ich verspreche Ihnen, bei meiner Ehre, dass Ned kein Leid zugefügt wird.“
Marcus erkannte an ihrem Mienenspiel, dass sie bemüht war, ihm zu glauben. Sie versuchte es, scheiterte indes daran. Vermutlich dachte sie, es handelte sich nur um irgendeine ausgedachte Geschichte, um sie dazu zu bringen, ihre Dienstbotenrolle aufzugeben. Not und Verzweiflung spiegelten sich in ihrem Gesicht wider.
„Oh, mein armes Mädchen“, flüsterte er, weil ihn ihr Schmerz unermesslich rührte. Er schloss sie in die Arme und streichelte ihr zärtlich über das Haar, als ob er ein verängstigtes Kind beruhigen wollte. Dann hob er ihr Gesicht leicht am Kinn an, sodass er ihr in die mit Tränen gefüllten Augen blicken konnte.
Und dann – er wusste selbst nicht, wie ihm geschah – küsste er sie.
Zunächst war es ein Kuss des Trostes, dann war es Zärtlichkeit. Um ihre Ängste und den Kummer aus ihrem blassen Gesicht zu vertreiben. Aber sehr rasch entwickelte es sich zu etwas Leidenschaftlicherem. Und als Amy schließlich, ein wenig zögerlich ihm die Arme um den Nacken legte, hatte Marcus jeden Gedanken an Tröstung verloren. Er spürte am ganzen Körper, dass er nichts mehr verlangte, als ihren ebenso sinnlichen wie verführerischen Mund zu küssen.
Es war wie kein anderer Kuss, den er jemals zuvor erlebt hatte. Hier vermischten sich Unschuld und Begehren, Reinheit und Verlangen in einem machtvollen Strudel. Er fühlte sich wie von einer gewaltigen Strömung mitgerissen und verspürte dabei nicht den geringsten Wunsch, sich dagegen zur Wehr zu setzen.
Erst als sich seine Hände auf ihre Brüsten verirrten und sie unter seiner Berührung leise aufstöhnte, riss er sich von ihr los, als hätte er eine Flamme berührt. Was um alles in der Welt tat er? Verflixt, er befand sich doch auf der Flucht!
Wenn Anthony ihm nicht geholfen hätte, wäre er längst gefasst und in den Kerker geworfen worden. Vielleicht hätte man ihn sogar schon gehängt. Dabei spielte es gar keine Rolle, dass er nichts mit dem Angriff auf Frobisher zu tun hatte. Alle würden ihn für schuldig halten. Seine eigenen Worte, im Zorn gesprochen, würden zu seinen Anklägern werden.
Mit leicht zitternden Händen löste er sich von ihr und hob ihre Haube vom Boden auf. Als er sich wieder aufrichtete, bemerkte er, dass sie von dem, was zwischen ihnen vorgefallen war, noch völlig fassungslos war. Mit ihren weit aufgerissenen violettblauen Augen sah sie ihn ungläubig an. Ihre Lippen waren rot und voll. Sie übten eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf ihn aus.
Er kämpfte gegen das starke Verlangen an, sie erneut zu küssen. Nein, er durfte es nicht tun. Schließlich versteckte er sich vor dem Gesetz. In dieser Lage war es unehrenhaft, sich ihr weiter zu nähern.
„Miss Devereaux.“
Sie reagierte nicht.
„Amy“, sagte er mit eindringlicher Stimme. „Amy! Du musst von hier verschwinden! Dein Bruder ist in Sicherheit. Du musst meinen Worten Glauben schenken. Warum zweifelst du daran? Wenn man dich hier in dieser Aufmachung findet, bist du verloren. Du solltest Lyndhurst Chase so schnell wie möglich hinter dir lassen. Ned ist ein solches Opfer nicht wert.“ Er streichelte mit einer Hand über ihre Wange. Es war eine Geste der Zärtlichkeit. An die Stelle der Leidenschaft trat Sorge.
Aber sie wollte es nicht wahrhaben und schüttelte ihn ab. „Ned ist mein Bruder!“, erklärte sie mit Nachdruck. „Wer sind Sie denn – ein Mann, der sich hier versteckt –, und Sie fordern mich einfach auf, meinen Bruder fallen zu lassen? Wer sind Sie – ein Mann, der die Situation mit einer Frau allein zu sein ausnutzt – und mir erzählt, was ich zu tun habe?“ Sie ergriff die Haube und versuchte, ihr Haar darunter zu verstecken. Trotz ihres Zorns und der Eile, bewahrte sie die nötige Ruhe, um jede Strähne darunter zu verbergen. Keine Frage, Amy Devereaux ließ noch immer größte Sorgfalt walten.
Marcus wusste, dass er verloren hatte. Mit einem hilflosen Schulterzucken griff er nach der Brille auf dem Schreibtisch. Ein weiteres Utensil ihrer Tarnung und noch dazu ein besonders gutes. Diese dicken Gläser wirkten so hässlich, dass niemand dahinter sah. Niemand bemerkte die wunderschönen Augen, die wie violette
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