Historical Saison Band 06
Hyazinthen in der Abenddämmerung leuchteten.
Sie nahm die Brille entgegen und rückte sie sich auf der Nase zurecht. „Danke, Sir.“ Sie hatte sich wieder unter Kontrolle. „Ich danke Ihnen auch für Ihre Versicherungen bezüglich meines Bruders. Gewiss werden Sie verstehen, dass ich mich in Anbetracht so weniger Informationen außer Stande sehe, meine Suche aufzugeben.“ Sie drehte sich auf dem Absatz um und schritt auf die Tür zu. „Dennoch danke ich Ihnen für die beruhigenden Worte“, fügte sie leise hinzu.
„Amy …“
„Keine Sorge. Ich kann mir vorstellen, dass Sie gute Gründe haben, sich hier verborgen zu halten. Ich werde Ihre Anwesenheit in diesem Haus nicht verraten. Ich gebe Ihnen mein Wort.“
„Und ich gebe Ihnen mein Wort …“, begann Marcus, aber die Tür schloss sich bereits hinter ihr. Er seufzte. „Sie haben mein Wort, Amy Devereaux, dass ich Sie nicht verraten werde“, flüsterte er in den leeren Raum.
Er starrte noch eine ganze Weile reglos auf die geschlossene Tür. Was für eine seltsame Begegnung das gewesen war. Er hätte sich beherrschen müssen, aber aus unerfindlichem Grund hatte er völlig die Kontrolle verloren. Die Gegenwart einer starken, entschlossenen und fahrlässig uneinsichtigen Frau hatte ihn gänzlich außer Gefecht gesetzt.
Marcus ließ sich auf Anthonys Stuhl nieder und strich sich nachdenklich über das Kinn. Vermutlich sah er mit seinem wachsenden Bart inzwischen wie ein verschrobener Eremit aus. Immerhin hatte seine äußerliche Veränderung auch einen Vorteil. Dadurch hatte er Amy Devereaux weismachen können, dass sie einander niemals vorgestellt worden waren.
Hätte sie ihn erkannt, wenn er säuberlich rasiert gewesen wäre? Wahrscheinlich nicht. Weshalb auch? Während ihrer einzigen Saison war sie von Bewunderern umgeben gewesen. Es gab keinen Grund, wieso sie sich ausgerechnet an die wenigen Tänze mit Marcus Sinclair erinnern sollte. Marcus wusste ja selbst nicht genau, weshalb er sich so genau an sie erinnerte. Das auffällige Haar und die außergewöhnlichen Augen allein konnten nicht der Grund dafür sein.
Er hatte sie als leichtgläubig und unschuldig in Erinnerung. Sie hatte eine fast kindliche Freude an ihrer ersten Saison zur Schau getragen. Und anders als die meisten Debütantinnen bei den Bällen und Festivitäten hatte Amy Devereaux nicht den Eindruck gemacht, als ob sie sich auf der Jagd nach einem reichen Mann befände. Zu diesem Zeitpunkt hatte er das für eine geschickte Masche gehalten. Er hatte gedacht, Miss Devereaux unterscheide sich nicht von den anderen. Wenn dem jedoch so war, hatte sich ihre Taktik als außergewöhnlich erfolglos erwiesen. Immerhin musste sie inzwischen Mitte zwanzig sein, und sie hatte nach wie vor keinen Ehemann. Stattdessen mühte sie sich mit einem Nichtsnutz von Bruder ab. Das arme Mädchen! Ned Devereaux stellte in jeder Hinsicht eine Belastung dar! Marcus hätte einiges darauf gewettet, dass Ned weder auf den Rat seiner Schwester Wert legte noch auf ihre Bitten reagierte. Der gedankenlose Kerl beabsichtigte offenkundig, seine Existenzgrundlage zu verspielen, nachdem er gerade erst die Volljährigkeit überschritten hatte.
Marcus stand auf und ging ans Fenster, wobei er darauf achtete, im Schatten zu bleiben, sodass er vom Garten aus nicht sichtbar war. Er schaute hinaus und stellte sich Ned Devereaux in seinem Gefängnis vor. Nicht nur, dass der Kerl sich in Sicherheit befand, man hatte ihn überdies von den kostspieligen Versuchungen entfernt, denen er offenkundig nicht widerstehen konnte. Hätte Amy Devereaux die ganze Geschichte gekannt, wäre sie sicher dankbar gewesen, dass ihr Bruder von weiterem Unheil ferngehalten wurde. Und sie damit ebenfalls. Es war um ihretwillen gut, dass sie versprochen hatte zu schweigen. Hätte sie gegenüber Anthony von mir gesprochen, wäre ihre Tarnung gewiss aufgeflogen, dachte Marcus.
Anthony … Er fuhr sich mit den Händen durch die ungekämmten Haare. Oh Gott, Anthony! Er betrog seinen engsten Freund. Eigentlich musste er ihm von Amy Devereaux erzählen und dass sie sich unter Vorspiegelung falscher Tatsachen in seinem Haus aufhielt.
Andererseits hatte er ihr sein Wort gegeben und durfte sie nicht verraten. Außerdem war Anthony gewiss nicht in der Stimmung, irgendwelchen Appellen zu lauschen, sich vor Sarahs Zofe in Acht zu nehmen. Vermutlich wollte Anthony ohnehin nichts mehr von ihm wissen. Seit der Begegnung, in der er die Miniatur von Anthonys Frau
Weitere Kostenlose Bücher