Historical Saison Band 06
Risiko eingehen“, sprach er verständnisvoll auf sie ein. „Wollen Sie sich mir nicht anvertrauen? Möglicherweise kann ich Ihnen helfen.“
Sie blickte ihn erstaunt an. „Sie? Aber ich weiß ja nicht einmal, wer Sie sind.“
„Nein“, erwiderte er mit einem zögernden Lächeln, „aber Sie sind aus einem bestimmten Grund in Lyndhurst Chase. Und ich weiß eine ganze Menge über die Dinge, die hier vorgehen.“
„Wirklich?“, fragte sie sofort, und ihre Nachfrage klang hoffnungsvoll. Doch dann schien sie der Mut zu verlassen. „Ich kann niemandem trauen. Weder Ihnen noch sonst jemandem.“
Marcus ergriff ihre rechte Hand. Die Haut fühlte sich nicht so zart an, wie es sich für eine Dame gehörte. Es war eine Hand, die viel mehr Arbeit gewohnt war, als dies normalerweise bei einer Frau von Stand der Fall sein sollte. „Miss Devereaux, ich gebe Ihnen mein Wort als Gentleman, dass Sie mir vertrauen können. Egal was Sie mir erzählen, ich verspreche Ihnen bei meiner Ehre, dass ich Sie nicht verraten werde.“
Weder zog sie ihre Hand zurück noch sah sie ihm direkt in die Augen. Es schien, als dächte sie über seine Worte nach. Aus ihrer Körperhaltung schloss er, dass ihr die Entscheidung schwerfiel. Und dass sie nach wie vor große Ängste ausstand. Marcus wusste, dass er abwarten musste, bis sie einen Entschluss gefasst hatte.
Schließlich sagte sie tief aufseufzend: „Ich weiß, dass Sie mein Haar bereits vorher gesehen haben und meine wahre Identität bislang trotzdem keiner Menschenseele verraten haben. Wenn Sie mit jemandem darüber geredet hätten, wäre ich längst aus diesem Haus entfernt worden. Also muss ich annehmen, dass ich Ihnen vertrauen kann.“ Sie schüttelte ganz leicht den Kopf. „Außerdem scheine ich keine andere Wahl zu haben.“
Marcus lächelte ihr aufmunternd zu. „Miss Devereaux, Sie müssen verstehen, dass ich guten Grund habe, Ihr Verhalten verdächtig zu finden. Ich habe Sie immerhin dabei ertappt, wie Sie Major Lyndhursts Schreibtisch durchsuchten. Das scheint mir, bei allem Respekt, keine Handlungsweise, die man von einer Dame erwartet.“
Die Röte, die ihr ins Gesicht stieg, stand ihr ausgezeichnet. Marcus wurde mit einem Mal bewusst, wie schön sie war – trotz der haarsträubend formlosen Kleidung. Als er sie vor etlichen Jahren das erste Mal erblickt hatte, war sie bereits sehr attraktiv gewesen, aber zugleich hatte sie sehr jung und weltfremd auf ihn gewirkt. Jetzt war sie eine Schönheit und besaß obendrein Charakter. Damals hatte er sie nur für eine von vielen Debütantinnen gehalten, die nach einem reichen Ehemann Ausschau hielten, was vermutlich auch der Tatsache entsprach. Aber ein solches Risiko einzugehen …? Miss Amy Devereaux schien weit mehr als nur ihr Äußeres auszuzeichnen. Und das Äußere war bereits mehr als attraktiv. Ihr Anblick stellte ein Fest für die Augen dar und nicht nur für die eines Mannes, der seit Wochen eingepfercht und ohne weibliche Gesellschaft lebte.
„Ich …“, flüsterte sie beinahe unhörbar. „Ich kam nach Lyndhurst Chase, um meinen Bruder zu finden. Ich fürchte, dass er entführt wurde. Oder vielleicht ist ihm auch Schlimmeres zugestoßen. Ich reiste hierher, weil ich etwas unternehmen musste und nicht länger tatenlos abwarten wollte.“
Wenn Marcus in diesem Augenblick die Möglichkeit gehabt hätte, Ned Devereaux den Hals umzudrehen, hätte er sie vermutlich genutzt. Dieser Kerl war ein egoistischer Rotzbengel. Und noch dazu ein elender Schwätzer, der überall krumme Geschäfte machte. Dieses verantwortungslose Jüngelchen dachte an niemanden, außer an sich selbst. Und dennoch, diese junge Frau, seine ältere Schwester, die zweifellos die Rolle von Neds verstorbener Mutter eingenommen hatte, war bereit, für einen solchen Taugenichts von Bruder ihren Ruf und ihre Zukunft zu opfern. Eine solche Schwester hatte Ned Devereaux wahrhaftig nicht verdient!
Marcus war in diesem Moment wild entschlossen zu verhindern, dass sie wegen eines solchen Nichtsnutzes ihre gesellschaftliche Stellung verlor.
„Miss Devereaux“, sagte er ernst. „Bitte machen Sie sich keine Sorgen. Ich kenne Ihren Bruder, und ich kann Ihnen versichern, dass es ihm gut geht.“
„Das wissen Sie?“ Sie rang nach Luft und nahm die Hände vor den Mund.
„Ja, Madam. Ich weiß es ganz sicher. Ich verspreche Ihnen, dass ihm kein Haar gekrümmt wurde. Es gibt keinen Grund für Sie, diese gefährliche Maskerade
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