Historical Saison Band 06
einen freien Stuhl. „Hör auf hier so einen Wirbel zu machen, Marcus, und komm her. Ich sagte doch bereits, dass ich mit dir zu reden habe.“
„Gleich“, erwiderte Marcus mit Bestimmtheit. Erst wollte er die Gesellschafterin an ihren neuen Platz begleiten. Auch wenn Großtante Harriet die arme Frau wie ein einfaches Dienstmädchen behandelte, er hatte nicht vor, es ihr gleichzutun. Er legte die Bücher und die Stickutensilien auf einen kleinen Tisch neben dem freien Stuhl und rückte die beiden Möbel für sie etwas näher ans Fenster.
„Vielen Dank, Mr Sinclair. Das ist sehr freundlich von Ihnen.“ Schüchtern lächelte sie ihn an, wobei ihre blasse makellose Gesichtshaut leicht errötete.
Warmes Herbstlicht drang in das Zimmer, und er sah sie einen Moment wie gebannt an. Erst jetzt fiel ihm auf, was für ein ausgesprochen hübsches Gesicht sie hatte. „Es war mir eine Freude, Miss Saunders“, entgegnete er, und genauso meinte er es auch.
Die alte Dame klopfte mit einer Handfläche auf den freigewordenen Platz an ihrer Seite auf dem Sofa. „Setz dich endlich hierher, Marcus, und erzähl mir, was zum Teufel hier vorgeht!“
Da ihm keine andere Wahl blieb, tat Marcus, worum er gebeten wurde. Ihm wurde bewusst, dass William bereits gegangen war. Auch die anderen schlenderten nach und nach aus dem Zimmer, wahrscheinlich um Anthonys erstaunlichen Vortrag in der einen oder anderen abgelegenen Ecke und in kleinen Grüppchen auszudiskutieren und Mutmaßungen darüber anzustellen, ob Marcus tatsächlich unschuldig war.
Sarah war in aller Ruhe mit ihrer Stickarbeit am Fenster sitzen geblieben. Es war anzunehmen, dass John sie vorgewarnt hatte. Daher hatte sie vermutlich nichts von dem überrascht, was Anthony verkündet hatte. Außerdem genoss sie Amys Vertrauen. Ob und wie viel Amy ihr wohl von mir erzählt hat?
Sarah schaute kurz zu ihm auf. Er hätte schwören können, dass sie ihm zuzwinkerte. Er senkte den Kopf und tat, als ob er hustete, um sein Lachen zu verbergen. Sarah hatte schon immer einen ganz eigenen Humor besessen.
„Ich weiß wirklich nicht, weshalb du mit einer so zufriedenen Miene hier sitzt, Sarah. Ich hatte dich mehrmals wegen deiner Zofe gewarnt. Und damit lag ich ja auch vollkommen richtig.“ Großtante Harriet fuchtelte mit ihrem Hörrohr herum, um ihrer Aussage Nachdruck zu verleihen. „Das musst du doch zugeben. Oder stimmt es etwa nicht?“
„Du hattest vollkommen recht, Tante Harriet“, erwiderte Sarah sanftmütig. „Und beim nächsten Mal werde ich genauer auf deinen Rat hören. Glücklicherweise kehrt meine alte Zofe bald zurück. Dent hat mich ziemlich getäuscht. Wenn ich sie nicht zufällig dabei erwischt hätte, als sie …“
„Scheinbar sind wir in Lyndhurst Chase von Übeltätern umzingelt“, schaltete sich Marcus ein. „Was hat denn diese Dent verbrochen, Sarah?“
Sie schenkte ihm ein schelmisches Lächeln. „Ich habe sie dabei erwischt, wie sie in Johns Papieren herumschnüffelte. Und natürlich fiel ihr dafür keine Erklärung ein. Es blieb mir nichts anderes übrig, als sie an Ort und Stelle zu entlassen.“
„Das ist verständlich.“ Marcus nickte zustimmend und mied Sarahs belustigte Blicke. „Hat sie das Haus bereits verlassen?“
„Ja, sie hat sich sofort aus dem Staub gemacht. Ich glaube kaum, dass einer von uns sie je wieder zu Gesicht bekommen wird.“
„Das ist tatsächlich kein Verlust! Lasst uns von etwas Wichtigerem reden“, mischte sich Großtante Harriet ein. „Marcus wollte uns gerade über diese Spielhölle berichten, in der er sich herumgetrieben hat. Nun, Marcus, wir sind schon äußerst gespannt.“
Nachdem er tief Luft geholt hatte, gab Marcus eine entsprechend zensierte und gekürzte Version seines Streits mit Frobisher und den Folgen der verbalen Auseinandersetzung zum Besten.
„Miss Devereaux, Major.“
Alle Gentlemen erhoben sich sofort. Anthony trat vor, um den neuen Gast zu begrüßen. Von seinem Platz in der Nähe des Fensters starrte Marcus die Frau an, die er liebte. Er hatte gedacht, er sei auf diesen Moment vorbereitet, aber ihr Anblick verschlug ihm die Sprache. Sie sah einfach atemberaubend aus. Er spürte, wie ihn ein heißer Schauer überlief, und ihm wurde klar, dass er in diesem Augenblick vermutlich wie ein liebeskranker Schuljunge und nicht wie ein erwachsener Mann aussah. Er fühlte sich ganz schwach, was allerdings durchaus zu ihrem gemeinsamen Plan passte.
Anmutig knickste Amy vor Anthony.
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