Historical Saison Band 09
stolperte und schrie vor Angst auf. Andere versuchten stehen zu bleiben, wurden jedoch von hinten weitergeschoben. Sophie wurde nach links gedrängt. Man stieß und schubste sie. Doch ehe Panik in ihr aufsteigen konnte, entdeckte sie einen schmalen Gang zwischen zwei Häusern. Dort würde sie wieder frei atmen können! Mit aller Kraft strebte sie auf den Gang zu, erreichte ihn und flüchtete aus der Menge.
Ihre Erleichterung war allerdings nur von kurzer Dauer. Schon bald musste sie feststellen, dass sie zwar den Menschenmassen entkommen war, sich aber verlaufen hatte. Sie hatte keine Ahnung, wo sie sich befand. Nur eines stand fest: In diesem Stadtteil wohnten keine wohlhabenden Leute. Barfüßige Kinder spielten im Dreck, Frauen stritten lauthals, und zerlumpte Männer saßen in Türeingängen, führten Flaschen mit zweifellos alkoholhaltigen Getränken zum Mund und starrten ihr nach.
Sie spürte, wie Angst in ihr aufstieg, und überlegte angestrengt, wie sie in eine Gegend zurückfinden könne, in der sie sich wenigstens ein bisschen auskannte, als jemand sie ansprach.
„Miss Langford!“
Sie fuhr herum. „Mr Jessop!“ Nie hätte sie gedacht, dass sie einmal so froh sein würde, den unsympathischen Cousin des Dukes zu sehen.
Er verbeugte sich vor ihr und musterte sie dabei aufmerksam. Im Gedränge hatte sie ihren Hut verloren, und überhaupt wirkte sie ein wenig derangiert. „Wo ist Ihre Zofe?“, fragte er.
„Ich bin allein unterwegs.“
„Es erstaunt mich, dass Belfont das zulässt.“
„Er weiß es nicht. Ich wollte weder ihn noch Harriet stören.“
Alfred runzelte die Stirn. Zweifellos begriff er, dass sie sich heimlich aus dem Haus geschlichen hatte. „Mir ist bekannt, dass Sie großen Wert auf Ihre Unabhängigkeit legen, Cousine Sophie. Aber London ist ein gefährlicher Ort für Damen, die allein unterwegs sind. Gestatten Sie mir, Sie zu begleiten.“ Er reichte ihr den Arm.
„Danke.“
„Wir wollen diesen Stadtteil rasch verlassen. Sie können von Glück sagen, dass man Sie nicht ausgeraubt hat.“
„Ich besitze nichts, was wert wäre, gestohlen zu werden. In meinem Retikül sind nur ein paar kleine Münzen.“
„Ein paar kleine Münzen? So mancher hier wäre bereit, dafür einen Mord zu begehen.“
Ein Schauer überlief sie. „Ich bin wirklich froh, dass wir uns begegnet sind.“
Ein zufriedenes Lächeln huschte über sein Gesicht, und er begann über Wellingtons Ankunft in London zu plaudern. Dann allerdings unterbrach er sich, um zu fragen: „Hatten Sie etwa auch vor, ihn zu begrüßen?“
„Nein, ich wusste gar nicht, dass er heute erwartet wurde. Ich hatte geschäftliche Dinge zu erledigen.“
„Geschäftliche Dinge? Meine Liebe, um Ihre Geschäfte kümmert sich doch gewiss mein Cousin.“
„Er hätte mein Vorhaben, mich mit einem Verleger zu treffen, wohl kaum unterstützt“, entfuhr es ihr. Im selben Moment schon bedauerte sie ihre Äußerung. Aber es war zu spät.
„Wie wahr“, stellte Alfred fest. „Er glaubt, auf Sie achtgeben zu müssen, und wird an dieser Aufgabe sicher festhalten, bis sie an Ihren Gatten übergeht.“
Sophie schwieg, ihre Gedanken überschlugen sich. Wie oft hatte sie dem Duke zum Vorwurf gemacht, dass er sie bevormunden wolle. Doch nun verspürte sie das Bedürfnis, ihn Alfred gegenüber zu verteidigen.
„Haben Sie einen Verleger gefunden?“
„Ja.“
„Das freut mich für Sie. Aber Belfont und vermutlich auch Harriet werden entsetzt sein. Sie betet ihren Bruder an, müssen Sie wissen, und würde niemals Kritik an seinen Entscheidungen üben.“ Er betrachtete Sophie nachdenklich. „Harriet wird auch entsetzt darüber sein, wie Sie aussehen.“
„Ich werde ihr erklären müssen, was geschehen ist.“
„Wäre es nicht einfacher, ich würde Sie mitnehmen zu Freunden? Dort könnten Sie ihr Haar richten und ihre Kleidung in Ordnung bringen. Offen gestanden befürchte ich, wir könnten schon auf dem Weg zur South Audley Street unerwünschte Aufmerksamkeit auf uns ziehen.“
„Oh!“ Sophie bemerkte erst jetzt, dass sie den ärmlichen Stadtteil hinter sich gelassen hatten und nun einer breiten von eleganten Häusern gesäumten Straße folgte. Hier gab es Vorgärten mit blühenden Blumen und grünen Büschen. Hier trugen die Menschen elegante Kleidung. Ein hübsches Mädchen mit blonden Zöpfen trat an der Hand seiner Gouvernante aus einem der Häuser. Eine Katze rekelte sich in der Sonne. „Ich würde mich gern ein wenig frisch
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