Historical Saison Band 12
sitzen lassen. Ich glaube, er ist kurz danach bei einer Kneipenschlägerei verstorben.“
Lexis Stimme war voller Mitgefühl. „Das wusste ich nicht, du hast nie davon erzählt, Mark.“
„Ich bin nicht stolz darauf, und ich will euch auch jetzt nicht mit meiner Familiengeschichte langweilen.“
„Nein, nein. Du langweilst uns nicht. Was geschah mit deiner Großmutter und ihrem Sohn?“
„Sie waren auf die Mildtätigkeit der Verwandtschaft angewiesen, bis Vater alt genug war, den Lebensunterhalt zu verdienen. Er kümmerte sich um Großmutter bis zu ihrem Tod. Kurz darauf lernte er meine Mutter kennen. Sie war die Tochter eines angesehenen Fabrikanten, womöglich mit ein Grund, warum mein Vater seine Verbindung zur Familie Rawdon in Vergessenheit geraten ließ. Nur durch Zufall habe ich von Johnnys Tod in der Zeitung erfahren. Mein Vater starb letztes Jahr, und ich fand, es war an der Zeit für eine Versöhnung.“
„Sie hatten also keine Ahnung, dass Sie der Nächste in der Erbfolge waren“, fragte Richard leichthin.
„Nicht die leiseste! Vermutlich hätte ich es mir denken können, aber das kam mir gar nicht in den Sinn. Da ich einer Kaufmannsfamilie angehörte, dachte ich mir, ich sei euch ohnehin nicht willkommen.“
„So ein Unfug! Ich bin froh, dass du geschrieben hast, Mark!“
Mark nickte. „Ich auch, Lexi! Nicht nur um meinetwillen, sondern auch um deines Vaters willen.“ Er beugte sich vor und ergriff ihre Hand. „Und natürlich bin ich auch froh, dass ich dir beistehen konnte.“
Richard erhob sich mit nachdenklicher Miene. „Das sind wir alle“, meinte er brüsk. „Rawdon, ich muss mich noch um einige Papiere kümmern, die Sir Jeremy in seinem Schreibtisch aufbewahrt hat. Wenn diese Angelegenheiten geklärt sind, werde ich Ihnen den Schlüssel übergeben. Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mir die Dokumente jetzt ansehe?“
„Natürlich nicht. Wenn Lexi einverstanden ist, werde ich derweil mit ihr im Garten spazieren gehen. Ist Ihnen das recht?“
Richard zögerte kurz, ehe er sagte: „Selbstverständlich. Es wird nicht lange dauern.“
Zunächst hatte sich Lexi gefreut, wieder in ihrem alten Zuhause zu weilen, aber nach einer halben Stunde überwogen die schmerzlichen Erinnerungen. Daher ließ sie Mark allein, als er im Stall mit einem der Pferdeburschen sprach, und machte sich auf die Suche nach Richard. Sie fand ihn, wie erwartet, in der Bibliothek. An der Tür blieb sie stehen, er hatte ihr Eintreten nicht bemerkt. Zu vertieft war er in eine Seite, die aus einem Notizbuch herausgerissen schien. Mit Schrecken gewahrte sie seinen zornentbrannten Ausdruck. Gleich darauf sah er auf, bemerkte sie, und sofort malte sich ein Lächeln in sein Gesicht. Er faltete das Papier und steckte es in seine Tasche.
„Ich hatte dich nicht so früh zurückerwartet. Ist dir langweilig geworden, oder sind die Erinnerungen gar zu schmerzlich?“
„Ein wenig“, gab Lexi abwesend zu. Ihre Gedanken kreisten um das, was sie eben gesehen hatte. Was konnte wohl auf dieser Seite stehen, das Richard in solch heftige Wut versetzte? Derart zornentbrannt hatte sie ihn nie zuvor erlebt.
„Das tut mir leid, Liebes“, sagte Richard, ging zu ihr und zog sie an sich, so nah, dass sie sein Herz schlagen hörte. „Nein, stoß mich bitte nicht weg“, sagte er leise. „Ich will dich bloß trösten, du hast nichts zu befürchten.“ Er legte die Wange auf ihr Haar. „Ich packe schnell die Papiere ein, dann können wir heimkehren.“
Von bitterem Bedauern durchflutet, verweilte Lexi einen Augenblick in seinen Armen. Wenn es doch nur anders gekommen wäre. Wenn sie doch nur voller Vertrauen und Liebe mit Richard nach Channings hätte zurückkehren können. Doch die Frage, unter welchen Umständen Johnny zu Tode gekommen war, stand wie eine Mauer zwischen ihnen. Über seinen Streit mit ihrem Vater hatte er wohl die Wahrheit gesagt, aber sie spürte, dass er ihr noch irgendetwas verschwieg. Und solange sie nicht die ganze Wahrheit von ihm erfuhr, würde sie ihm nicht vertrauen können.
Sie löste sich von ihm. „Danke“, sagte sie leise.
Einige Minuten später, nachdem sie Mark zu einem Gegenbesuch eingeladen hatten, verabschiedeten sie sich und ritten schweigend nach Channings zurück.
Richard schien tief in Gedanken versunken, und Lexi fragte sich, warum sie die Seite, die er in der Bibliothek eingesteckt hatte – vermutlich eine Seite aus dem Tagebuch ihres Vaters – nicht gefunden hatte, als sie
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