Historical Saison Band 15
der bekümmert zugehört hatte, zog seinen Teller zu sich heran und schnitt die unberührte Hühnerbrust in mundgerechte Stückchen. „Nun komm schon, du Langweiler, du isst ja gar nichts. Und du hast mir noch nicht erzählt, wie es heute in der Schule war.“
Er senkte den Kopf und wich ihrem Blick aus. „Ich bin nicht hungrig, Mama.“
„Archie?“ Sie legte einen Finger unter sein Kinn und drehte sein Gesicht ins Licht. Da entdeckte sie eine leichte Verfärbung um ein Auge herum und eine kleine Schwellung auf der Unterlippe. „Willst du mir etwas erzählen?“
„Nein, Mama.“
„Hast du dich mit deinen Schulkameraden geprügelt?“
„Die Größeren haben was Schlimmes über dich gesagt, Mama. Da hab ich zugeschlagen. Und sie haben zurückgeschlagen.“
Schmerzhaft krampfte sich ihr Herz zusammen. „Danke, dass du meinen guten Namen verteidigt hast, Archie. Aber das sind nur dumme Jungs, die wissen nicht, was sie reden.“ Zärtlich strich sie ihm übers Haar. „Halt dich von ihnen fern und spiel lieber mit den kleineren in deinem Alter.“
„Was ist ein Bastard, Mama?“
Mrs Tatton schnappte entsetzt nach Luft, verschluckte sich an dem Bissen, den sie gerade kaute, begann zu würgen und zu husten. Während Arabella ihrer Mutter auf den Rücken klopfte, rannte Archie in den Garten, und sie musste die peinliche Frage nicht beantworten. Doch irgendwann würde sie ihm die Wahrheit sagen müssen, das wusste sie, obwohl er im strengen Sinn des Wortes nicht unehelich geboren war.
In dieser Nacht trat Arabella ans Fenster des Zimmers, das sie mit ihrem Sohn teilte. Hinter ihr erklangen seine gleichmäßigen, tröstlichen Atemzüge. Sie schaute zu den winzigen funkelnden Sternen hinauf. Bald würde sich der dunkelblaue Himmel schwarz färben.
Wehmütig erinnerte sie sich an ihr Leid vor all den Jahren, als sie sich von Dominic hintergangen geglaubt hatte. Wie harmlos, verglichen mit ihrer jetzigen Verzweiflung … Ein Teil von ihr war gestorben. Würde sie sich jemals wieder lebendig fühlen?
Was immer sie auch tun mochte, sie konnte Archie nicht vor Verletzungen schützen. Gewissermaßen stand sie zwischen ihrem Kind und der Welt. Sie hatte ihm den Vater genommen – und Dominic seinen Sohn.
Und zum ersten Mal fragte sie sich, ob es richtig gewesen war, Mr Smiths erpresserische Forderungen zu erfüllen. Vielleicht hätte sie Dominic über die Drohungen informieren sollen, und es wäre ihm gelungen, dem Mann das Handwerk zu legen. Oder man hätte den toten Duke of Arlesford in einer dunklen Gasse gefunden, mit einem Messer zwischen den Rippen …
Nein, wegen ihrer Schwäche durfte sie sein Leben nicht aufs Spiel setzen. Während sie beobachtete, wie der Himmel dunkler wurde, sagte sie sich, dass sie – müsste sie die Entscheidung erneut treffen – genauso handeln würde. Aber bei dieser Erkenntnis fühlte sie sich nicht besser.
Sie hauchte einen Kuss auf Archies Stirn und schlich aus dem Zimmer.
„Obwohl ich Sie sehr großzügig bezahlt habe, waren Sie indiskret, Madam.“
Mrs Silver stand dem Duke Arlesford in ihrem eleganten Salon gegenüber und erbleichte. „Da täuschen Sie sich, Euer Gnaden. Meine Mädchen und ich halten uns an die Vereinbarung und reden mit niemandem über Miss Noir. Das habe ich Ihnen hoch und heilig geschworen.“
„Was Ihre Damen betrifft, können Sie nicht so sicher sein.“
„Doch, Euer Gnaden, ich vertraue meinen Mädchen rückhaltlos. Und sie wurden ja auch gut bezahlt.“
Nachdenklich runzelte Dominic die Stirn. Smith musste Arabella irgendwie erkannt haben. Da gab es Möglichkeiten, die er sich nicht vorstellen wollte. Aber es blieb ihm nichts anderes übrig.
„Gab es jemals Schwierigkeiten zwischen Miss Noir und einem ihrer …“, er musste sich zwingen, das Wort auszusprechen, „… einem ihrer Kunden?“
Mrs Silver warf ihm einen seltsamen Blick zu. „Da war kein anderer, Euer Gnaden.“
„Versuchen Sie sich zu erinnern. Das ist wichtig. Vielleicht hat sie jemanden erwähnt …“
„Nein, Euer Gnaden“, unterbrach sie ihn, „außer Ihnen hat Arabella keinen Gentleman empfangen. Sie kam erst am Tag Ihres Besuchs zu mir.“
Dominic fuhr sich über die Stirn. In seinem Kopf drehte sich alles. Also war Arabella keine Hure gewesen – bis er sie zu einer erniedrigt hatte. Überwältigende Gewissensqualen ließen ihn frösteln. Oh Gott, was hatte er ihr angetan? Kein Wunder, dass sie sich zunächst gesträubt hatte, seine Geliebte zu
Weitere Kostenlose Bücher