Historical Saison Band 16 (German Edition)
konnte sie Agyros in einer dunklen Straße auflauern, ihn bedrohen und ihn zwingen, die Wahrheit zu sagen. Nein. Das war zu gefährlich. Wenn er sich davon nicht erschrecken ließ, hatte sie nicht die körperliche Kraft, ihn zu überwinden.
Aber Beldon besaß diese Kraft. Wenn sie Christoph Agyros mutig entgegentreten wollte, brauchte sie einen Verbündeten. Beldon hatte heute Abend bewiesen, dass er Christoph gewachsen, wenn nicht sogar überlegen war. Er sah nicht aus wie jemand, der von seinem Widersacher verprügelt worden war … und er hatte auch nicht so geküsst. Ganz und gar nicht …
Christoph Agyros hatte keinen einzigen Schlag auf Beldons Kinn landen können.
Lilya stand auf und kroch zwischen die kühlen Laken ihres Bettes. Sollte sie zulassen, dass Beldon sich einmischte? Was hatte der Kuss bedeutet? Vielleicht war der Kuss nur das Ergebnis fehlgeleiteter Gefühle. Aber sie konnte ihn nicht so einfach vergessen. Sie konnte nicht so tun, als sei nichts zwischen ihr und Beldon geschehen. Das Prickeln, das sie jedes Mal bei seinem Anblick durchströmte, war nicht zu leugnen.
Sie konnte auch die Tatsache nicht leugnen, dass es ihr gefallen hatte, dass er sie geküsst hatte. Und wie! Lilya umarmte ihr Kopfkissen. Nun wusste sie, warum die Frauen ihn über ihre Fächer hinweg beobachteten und ihn mit den Augen verfolgten. Beldon konnte eine Frau so küssen, dass sie davon beinahe ohnmächtig wurde. Er konnte sie dazu bringen, alles um sich herum zu vergessen.
Lilya seufzte.
Was wäre, wenn Beldon sich gefahrlos ihrer Sache annehmen könnte? Was wäre, wenn Christoph Agyros absolut nichts von dem Diamanten wusste? Dann wäre es möglich … zuzulassen, dass sie sich in Beldon verliebte? Ein ganz normales Leben zu führen, was immer das auch sein mochte?
Nein, sie musste vernünftig bleiben und sich auf das Schlimmste vorbereiten. Wenn Agyros wirklich wusste, dass sie den Diamanten besaß, musste sie England so schnell wie irgend möglich verlassen. Doch wo auch immer sie dann hingehen würde, nichts und niemand könnte sie retten. Irgendwann würde Christoph Agyros oder seine Komplizen sie aufspüren. Wenn sie England verließ, könnte das die Menschen, die sie liebte, retten: Val und Philippa, Konstantin und Vals kleinen Jungen. Auch wenn sie es nicht gestehen mochte: auch Beldon gehörte dazu.
Ihre Gedanken drehten sich im Kreis, sie wälzte sich hin und her. Irgendwann schlief sie vor Erschöpfung ein.
„Im Licht des neuen Morgens sieht alles besser aus.“ Wer auch immer das gesagt hatte, irrte sich gewaltig. Lilya wusste das in dem Augenblick, in dem sie erwachte.
In der vergangenen Nacht hatte sie Beldon geküsst und geglaubt, ihre persönlichen Einschränkungen, die ihr das Schicksal auferlegt hatte, seien nicht so wichtig. Vielleicht hielt das Leben trotz allem ein Happy End für sie bereit. Doch nun sah sie wieder klarer: Christoph Agyros war nach London gekommen, um sie und den Diamanten aufzuspüren. Und er war nicht allein. Er war der Stellvertreter eines mächtigen Kartells. Beldon mochte denken, dass er mit Agyros zurechtkommen konnte. Doch er wusste nicht, dass dieser Mann nur eines von vielen Häuptern einer Hydra war, die den Namen Filiki Adamo trug.
Die Zofe Sally kam herein. Sie war fröhlich und ahnte nichts von Lilyas Sorgen. Lilya zog sich die Bettdecke über den Kopf und stöhnte. Sie wollte am liebsten im Bett bleiben. Wenn sie aufstand und sich ankleidete, musste sie anschließend hinabgehen und sich Val, Philippa und Beldon stellen.
„Möchten Sie, dass ich das lavendelfarbene Musselin-Kleid für Sie bereitlege?“ Schon öffnete Sally den Schrank. Lilya hörte die Scharniere quietschen und brummte zustimmend. Lavendel war so gut wie jede andere Farbe an diesem Tag.
Val und Philippa saßen bereits beim Frühstück, als Lilya herunterkam. Philippa begrüßte sie fröhlich und Vals Teller war wie immer mit Schinken und Eiern beladen. Im Haushalt des Viscounts schien ein ganz normaler Tag angebrochen zu sein.
Aber auf den zweiten Blick schien es nicht ganz so zu sein. Ein Mann eilte ins Frühstückszimmer, der mit Valerian sprechen wollte. Val murmelte ihm etwas zu und schickte ihn wieder weg. Lilya schaute von Philippa zu Val und wartete auf eine Erklärung.
Philippa legte ihre Gabel ab. „Er ist einer der Leute, die Val vor dem Haus postiert hat. Er, nein, wir“, korrigierte sich Philippa, „fanden es wegen der Sicherheit notwendig.“
Wachen! Lilyas bekam
Weitere Kostenlose Bücher