Historical Saison Band 17
Carmela über ihren Schatten springen? Das würde alles vereinfachen.“
Keine der beiden Damen verbarg ihre Bedenken. Aber schließlich stimmten sie seinem Vorschlag zu. Domino, weil sie ihren Papa liebte und wusste, dass er sie nur um diesen Gefallen bat, weil es nötig war. Und Carmela, weil die Familienehre auf dem Spiel stand und ihre Loyalität gefordert wurde.
An einem milden Freitagabend stiegen sie in eine Mietdroschke und fuhren zum Steine House. Dieses Gebäude stand in einem sehr schlechten Ruf, denn der Prinzregent hatte es für seine langjährige Geliebte und inoffizielle Ehefrau Maria Fitzherbert gekauft. Sie wohnte immer noch darin, ließ sich aber nur selten außerhalb ihrer vier Wände blicken. Angeblich besuchte George sie nach wie vor, trotz einer legalen Ehefrau und zahlreicher anderer Liebhaberinnen. Einem Gerücht zufolge führte ein Gang durch das angrenzende Marlborough House zum Keller des Royal Pavilion. Da der Duke of Severn ein alter Freund von Mrs Fitzherbert war, wurde er zusammen mit seiner Gemahlin im Steine House willkommen geheißen, wann immer sich die beiden in Brighton aufhielten.
Die Klatschgeschichten, die sich um das Haus rankten, bestärkten Domino und Carmela in ihrem Missbehagen. Als sie aus der Kutsche stiegen, sahen sie eine schöne Stuckfassade im italienischen Stil. In der Halle wurden sie von den Gastgebern freundlich begrüßt. Domino fand, dass der Duke schrecklich alt und verschrumpelt aussah. Kein Wunder, dass seine Frau sich woanders umschaut, dachte sie, wofür sie sich sofort tadelte. Übte das Haus schon jetzt einen verderblichen Einfluss auf sie aus? Sie wurden zu einer Treppe geleitet, die zu einem Salon hinaufführte. Aus der offenen Tür drang bereits leise Musik.
„Über diese Treppe ist Lord Barrymore einmal nach oben geritten, um eine Wette zu gewinnen“, zischte Carmela ihrer Cousine ins Ohr.
Verwirrt blieb Domino auf einer Stufe stehen. Wo um alles in der Welt hörte ihre Cousine solche skandalösen Geschichten? Während sie innehielt, fiel ihr Blick in einen großen Spiegel über dem Treppenabsatz. Was sie sah, gefiel ihr. Für diesen Abend hatte sie ein aprikosenfarbenes Seidenkleid mit goldenen Borten, das ihren Teint perfekt zur Geltung brachte, gewählt. Ihre dunklen Locken schimmerten im Licht der Kerzen, und ihre Augen funkelten, wenn auch voller Unbehagen.
Mahnend klopfte Carmela mit ihrem Fächer auf Dominos Arm, um ihr zu bedeuten, Eitelkeit sei eine Sünde.
Dann betraten sie den Salon, einen großen Raum mit scharlachroten Seidenvorhängen. Ein livrierter Lakai führte sie zu einer der halbkreisförmig angeordneten Stuhlreihen.
Vorsichtig nahm Domino auf einem zierlichen vergoldeten Stuhl Platz. „Pass auf, Carmela“, warnte sie, „wenn du dich zu heftig bewegst, könnten diese dünnen Stuhlbeine zerbrechen und der Krach das Streichquartett übertönen.“
Carmela gestattete sich ein schwaches Lächeln und ließ ihren Blick durch den Salon schweifen. „Hier sehe ich niemanden, der unseren Empfang besucht hat“, murmelte sie enttäuscht. „Seltsam, wo doch eine berühmte Sopranistin auftreten wird.“
„Offenbar verzichten einige Leuten auf diesen Kunstgenuss“, meinte Domino. Inklusive Joshua Marchmain, dachte sie.
Darüber sollte sie froh sein. Wenigstens blieb ihr an diesem unangenehmen Abend seine Gesellschaft erspart. Dennoch war sie aus unerklärlichen Gründen betrübt. Sie hatte die Besichtigungstour in der Grove Gallery genossen, die Gespräche über Malerei und Europareisen. Zweifellos war Mr Marchmain ein interessanter, intelligenter Mann. Und obwohl er Städte kannte, von denen sie nur träumen konnte, hatte er ihr nie das Gefühl gegeben, sie wäre eine Ignorantin.
Aber einem Gerücht zufolge hatte er zahllose Liebhaberinnen beglückt, darunter die Duchess of Severn. Konnten die Gerüchte falsch sein? Wohl kaum. Joshua Marchmain war ein Weiberheld.
Und wenn die Reaktionen ihres eigenen ungebärdigen Körpers diese Vermutung zuließen, musste er sich für seine Erfolge nicht besonders anstrengen. Das Verlangen, das sie plötzlich empfunden hatte, wies sie nur zu deutlich auf die Gefahr hin, sie könnte von unwiderstehlichen Gefühlen überwältigt werden. Wie gut, dass er die Soiree nicht besuchte …
„Meine lieben Gäste, darf ich Ihnen die illustre Bianca Bonelli präsentieren?“ Der Duke führte die berühmte Sängerin, die eigens auf seinen Wunsch aus Mailand angereist war, zu einem Podest.
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