Historical Saison Band 18
bemüht, ihre Gefühle unter Kontrolle zu bringen. Als sie am Freitagabend pflichtbewusst neben der Countess of Grenville stand und die Gäste begrüßte, hoffte sie inständig, dass Lord Fincham nicht auf dem Ball erscheinen würde. Auf die Einladung, die ihm einen Monat zuvor zugeschickt worden war, hatte er nicht geantwortet.
Nachdem Georgiana mehr als eine Stunde damit verbracht hatte, die Crème de la Crème der Londoner Gesellschaft zu begrüßen, überließ sie es der alten Dame, die letzten Besucher allein willkommen zu heißen. Da sie inzwischen fest daran glaubte, dass Lord Fincham nicht mehr erscheinen würde, hielt sie nach Lady Pickering Ausschau.
„Ah, meine liebe Georgiana! Ja, kommen Sie her und setzen Sie sich eine Weile zu mir. Sie haben sich wahrhaftig eine Pause verdient. Sie waren meiner Freundin heute Abend eine große Stütze. Hält unsere liebe Witwe noch gut durch?“
„Sie ist ein wenig müde, Madam, aber entschlossen, ihre Pflicht zu erfüllen und alles in ihrer Macht Stehende zu tun, damit Sophias Debüt ein Erfolg wird.“
„Und das Ihrige auch, meine Liebe.“
„Ich bin lediglich hier, weil mein Patenonkel es so gewollt hat …“, beteuerte Georgiana. „… und nicht, um mich auf dem Heiratsmarkt zu präsentieren. Um ganz ehrlich zu sein, verspüre ich auch nicht den Wunsch, mich zu verheiraten. Was unter den gegebenen Umständen vielleicht ganz gut so ist“, fügte sie leise hinzu, als sie an die beleidigende Äußerung des Viscounts dachte.
„Mein liebes Mädchen, Sie dürfen gar nicht auf all dieses dumme und gehässige Gerede achten. Es wird nicht lange dauern, bis die Lästermäuler neue Nahrung gefunden und den Unsinn über Sie vergessen haben“, versuchte Lady Pickering sie aufzuheitern. Die alte Dame glaubte, allein Klatsch und Tratsch seien schuld daran, dass ihre junge Begleiterin einer Heirat so ablehnend gegenüberstand.
Georgiana behielt lieber für sich, dass ihr nur die Meinung eines einzigen Gentlemans wirklich wichtig war. Stattdessen entschied sie sich, das Gespräch besser zu nutzen, um mehr über einen gewissen Anwesenden in Erfahrung zu bringen. Da Georgiana keinen Verdacht erregen wollte, begann sie ihre Erkundigungen mit der allgemeinen Frage, welche Heiratskandidaten für Sophia geeignet wären. Später wollte sie dann die Aufmerksamkeit auf den Gentleman lenken, der sie bei der offiziellen Begrüßung zu Beginn des Balls glücklicherweise nicht wiedererkannt hatte und der für ihre Nachforschungen von größtem Interesse war.
„Ich glaube kaum, dass Lord Rupert Gyles als passender Ehegatte für Sophia infrage kommt, meine Liebe“, erklärte Lady Pickering, nachdem sie auf den entsprechenden Herrn hingewiesen wurde. „Zum einen ist er ein bisschen zu alt. Gewiss hat er das fünfunddreißigste Lebensjahr längst überschritten. Meines Erachtens gibt es keinen Grund für Sophia, sich für einen Gentleman aus seinem Jahrgang zu entscheiden. Sie ist gerade erst achtzehn geworden und bevorzugt ganz gewiss einen jüngeren Mann.“
„Vielleicht, aber Lord Rupert wäre doch in Hinblick auf seinen gesellschaftlichen Rang durchaus geeignet, oder nicht?“, hakte Georgiana nach. „Immerhin ist er der Bruder des Duke of Merton.“
„Das stimmt“, räumte Lady Pickering ein und fügte hin: „Aber er ist nicht sein Erbe. Merton hat einen Sohn. Außerdem ist Lord Rupert ein unverbesserlicher Spieler. Merton lässt ihm natürlich ein gewisses Taschengeld zukommen. Dennoch ist es verwunderlich, wie er es schafft, die Geldeintreiber von seiner Tür fernzuhalten. Er ist dafür bekannt, Hunderte an einem einzigen Abend zu verlieren und dabei nicht mit der Wimper zu zucken.“
Lady Pickerings Aufmerksamkeit richtete sich auf einen Neuankömmling. „Ah! Da haben wir jemanden, der weitaus geeigneter ist. Oder wenigstens wäre er das, wenn er sich nicht den Ruf erworben hätte, dem schönen Geschlecht gegenüber ein gefühlskalter Zyniker zu sein.“
Georgiana schaute zum Eingang hinüber und konnte gerade noch ein gequältes Stöhnen unterdrücken, als sie sah, wie die Witwe zwei späte Gäste begrüßte. Lord Fincham hatte sich fatalerweise nicht nur dazu entschieden, selbst auf dem Ball zu erscheinen, er hatte auch noch seinen Freund Charles Gingham mitgebracht. Das kann sich als gefährlich erweisen, fuhr es ihr durch den Kopf. Mr Gingham gehörte zu den wenigen Leuten, die sie problemlos wiedererkennen konnten. Und wenn der Viscount ihn nicht schon auf
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