Historical Saison Band 18
sie ebenso verletzt wie wütend gemacht. Auch schmerzte es sie, dass sie ihm nicht hatte erklären können, weshalb sie sich im letzten Herbst als Junge ausgegeben und ihn getäuscht hatte. Allerdings ging sie ohnehin nicht davon aus, dass er dazu bereit war, sich Erklärungen anzuhören.
„Bestimmt glaubt er, ich hätte mir mit ihm einen üblen Scherz erlaubt, Digby. Jetzt ist sein Stolz verletzt, und er will mich im Gegenzug leiden lassen.“
Der Diener schaute ihr ins Gesicht und erkannte eine tiefe Traurigkeit, die sie gar nicht erst zu verbergen suchte. „Wenigstens versucht er nich’, Ihren Ruf zu ruinieren, indem er ’rumerzählt, was er über Sie weiß.“
„Das habe ich keinen Moment angenommen“, entgegnete sie. „Fast wünschte ich, er würde es tun. Alles ist besser als die eiskalte Verachtung, die er mir jetzt entgegenbringt. Ich weiß nicht, wie lange ich das ertrage. Ich bin auch nur aus Fleisch und Blut, und wenn er mich weiter so behandelt …“
Obwohl es Georgiana unmöglich war, die zufällige Begegnung mit dem Viscount vollständig aus ihren Gedanken zu verbannen, wurde sie zunächst davon abgelenkt. Kaum hatte sie das Stadthaus der Grenvilles betreten, wurde ihr mitgeteilt, dass die Countess sie zu sprechen wünsche.
Eilig tauschte sie ihr verschmutztes Kleid gegen ein sauberes, bevor sie sich in den Salon der alten Dame begab. Dort wurde ihr ohne Umschweife die neueste Ausgabe der Morning Post entgegengeschoben. Mit einem ihrer dünnen, arthritischen Finger wies die Witwe auf die entscheidende Spalte.
„Endlich ist eingetroffen, worauf wir gewartet haben!“, verkündete sie beinah triumphierend. „So wie es aussieht, hat man Lady Chalmondley ihrer Smaragde beraubt, als sie auf der Rückreise von ihrem Landsitz in Kent war. Wenn man dem Zeitungsartikel Glauben schenken darf, sind sie eine äußerst beachtliche Summe wert.“
„Kent …?“, wiederholte Georgiana, nachdem sie die Nachricht selbst durchgelesen hatte. „Stammt nicht einer unserer Verdächtigen aus diesem Teil des Landes, Madam?“
„Ja, Sie meinen Chard. Aber er wird wohl kaum in der Nähe seines eigenen Landsitzes einen Überfall begehen, oder?“
Georgiana war sich nicht sicher. „Ich bezweifle, dass er sich persönlich daran beteiligt. Digby hat mir berichtet, Chard sei bereits Mitte Februar in der Stadt eingetroffen, und dieser Raubüberfall hat nach Angaben der Zeitung in der letzten Woche stattgefunden. Das bedeutet natürlich nicht, dass er die Diebstähle nicht organisieren und den Verkauf der geraubten Juwelen in die Wege leiten könnte. Falls er überdies zufällig mit Lady Chalmondley bekannt sein sollte, wusste er vielleicht von ihrer Absicht, die Smaragde zu transportieren, und möglicherweise sogar, wann sie die Reise antreten wollte.“ Sie ging mit der Zeitung zur Tür. „Ich werde Digby umgehend davon in Kenntnis setzen. Wenn wir Glück haben, geraten die Dinge nun in Bewegung.“
„Warten Sie einen Augenblick, meine Liebe“, hielt die Witwe sie zurück, und Georgiana blieb im Türrahmen stehen. „Sind Sie sicher, dass Sie auf den heutigen Ball verzichten möchten? Sophia ist ganz erpicht darauf, hinzugehen, und Lady Pickering hat sich freundlicherweise bereit erklärt, sie an meiner Stelle zu begleiten. Sie wäre höchst erfreut, sich auch um Sie zu kümmern.“
„Ja, aber kann sie mich denn vor Lord Finchams frostiger Verachtung schützen, falls er dort auftauchen sollte?“ Sie lächelte tapfer, obwohl ihr der Gedanke an ihn das Herz schwer machte. „Nein, Madam, ich würde heute Abend lieber Ihnen hier Gesellschaft leisten und mir für den Freitag ein paar unüberwindbare Verteidigungsstrategien ausdenken, für den Fall, dass er sich weiter an mir rächen möchte, indem er Sophias Ball besucht.“
Die Witwe verengte die Augen zu Schlitzen, wie es auch der Viscount gelegentlich tat. „Ich hoffe inständig, dass Sie keine törichten Empfindungen für diesen Gentleman entwickelt haben, Georgiana.“
„Ja, töricht sind sie in der Tat, Madam“, gab sie freimütig zu. „Insbesondere nach unserer kurzen Begegnung heute im Park, bei der er vollkommen deutlich gemacht hat, was er von mir hält. Aus dem wenigen, was er zu mir sagte, konnte ich entnehmen, dass ihm die Gerüchte über meine Herkunft bereits zu Ohren gekommen sind. Doch auch wenn es widersinnig klingt, hat sich meine hohe Meinung von ihm nicht geändert.“
Georgiana hatte sich in den vergangenen Tagen verzweifelt
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