Historical Saison Band 19
kommenden Feiertage ohne Auseinandersetzungen überstehen würden. Dennoch gab sie die Hoffnung noch nicht ganz auf, die festliche Stimmung der Weihnachtszeit würde obsiegen, schob den schweren Vorhang zu, um die Spiegelungen des Kerzenlichts und der Flammen im Kamin abzuschirmen, kniete sich auf die breite Fensterbank und versuchte erneut, durch das Schneetreiben zu spähen.
„Du lieber Himmel!“, rief sie aus, kletterte von der Fensterbank und eilte zur Tür.
„Was haben Sie gesehen, Rosie?“, wollte Imogen wissen.
„Einen Reiter, der kaum mehr wie ein sterblicher Mann, sondern eher wie Hannibal bei seinem Ritt über die Alpen aussah“, murmelte Sophie halblaut, während sie bereits in die Halle lief und nach Cordage und allen anderen rief, die sich in Hörweite befanden. „Imogen, bitte gehe zu deinen Schwestern ins Schulzimmer. Sie sollen dort bleiben und ihre Briefe an euren Vater zu Ende schreiben. Auf keinen Fall darf einer von euch uns hinaus in den Schneesturm folgen“, sagte sie streng.
„Aber Miss Rose, da draußen erfriert vielleicht gerade jemand!“
„Dann gibt es keinen vernünftigen Grund, weshalb du es ihm gleichtun solltest. Bitte kümmere dich um deine Schwestern, wie ich dich gebeten habe. Ich werde dir rechtzeitig Bescheid geben, was zu tun ist, sobald ich es selbst weiß.“
Unter missmutigem Brummen befolgte Imogen die Anweisung. Sophie kannte sie gut genug und wusste, dass auf sie Verlass war. Sie würde ihre jüngeren Schwestern beaufsichtigen, obwohl sie es eindeutig bevorzugt hätte, mitten im Geschehen zu sein.
2. KAPITEL
A ngesichts der unablässigen Schneewehen kniff Peter erschöpft die Augen zusammen, ohne sie ganz zu schließen, damit er nicht gegen den nächsten Baum ritt. Ihm kam es vor, als ob er zu allem Übel auch noch halluzinierte. Missmutig wischte er sich im schneetrüben Zwielicht mit einer Hand über das Gesicht und öffnete die Augen etwas weiter, um klarer zu sehen. Aber die Gestalt an dem erleuchteten Fenster, das er in einiger Entfernung ausmachen konnte, war verschwunden. Also hatte er vielleicht doch noch nicht den Verstand verloren.
Müde und erleichtert seufzte er auf. Er war nicht mehr als hundert Meter von der Zufluchtsstätte entfernt, auch wenn sich die Distanz aufgrund des Schneetreibens, das ständig die Richtung wechselte, schlecht einschätzen ließ. Mal tanzten die kalten Flocken wie wilde Derwische um ihn herum, mal legten sie sich sanft und einschläfernd wie der Tod auf ihn. Er schüttelte den Kopf und murmelte Hannibal, seinem reinrassigen Jagdpferd, etwas Aufmunterndes in die angelegten Ohren. Das arme Tier trug ihn tapfer wie ein fügsames Zugpferd durch diesen winterlichen Albtraum.
Warum verfolgten ihn in dieser verzweifelten Situation ausgerechnet die Erinnerungen an Sophie Bonet? Er hatte gedacht, ein Mann würde Engel sehen, wenn der Tod kurz bevorstand, und keinen hartherzigen, egoistischen kleinen Teufel, als der sie sich erwiesen hatte. Natürlich hatte er einmal geglaubt, sie zu lieben. Doch er war ein junger Narr gewesen, der so wenig Ahnung von der Welt gehabt hatte, dass er nur mit Mitleid auf sein früheres Selbst zurückblicken konnte. Zu seinem eigenen Schutz hätte man ihn einsperren sollen, bis er genug gesunden Menschenverstand erworben hatte, um die hinterhältige Abenteurerin zu durchschauen. Es musste acht Jahre her sein, dass er sie das letzte Mal gesehen hatte, und seit sie Holm Park den Rücken zugewandt hatte, waren wilde Gerüchte über ihr weiteres Schicksal in Umlauf.
Am besten gefiel ihm die Version, wonach sie sich als Piratenkönigin in der Karibik etabliert hatte und die Gesetzlosen dazu brachte, ihren Befehlen zu gehorchen. Einst war Sophie Bonet beinahe wie eine Verwandte für ihn gewesen und dazu eine unerschrockene Spielkameradin. Sophie hatte eine Abenteuerlust verströmt, bei der er fast vergessen hatte, dass sie ein Mädchen war. Dann war sie zu seiner großen Liebe geworden. Beim Gedanken an die wilde junge Sophie Bonet musste er lächeln. Nun überlegte er, weshalb er sich ihrer jetzt so deutlich erinnerte, als ob er ihre Stimme in den ausgekühlten Ohren hörte.
„Ich verirre mich in mehr als einer Hinsicht, Hannibal, alter Junge“, murmelte er. Leise fluchte er, weil er Edwinas Bitten nachgegeben hatte, sie schnellstmöglich zu ihrer Trauung zu bringen, obgleich es bei diesem Wetter der helle Wahnsinn war.
Da war es wieder – er erhaschte ein paar Wortfetzen, die vom Wind zu ihm
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