Historical Saison Band 20
gern und spiele am Pianoforte. Wenn mir danach ist, nähe ich manchmal, obwohl es nicht meine Lieblingsbeschäftigung ist. Im Sommer ist es schön, im Garten zu sitzen.“
„Lädst du gelegentlich Freunde ein?“
„Ich habe genügend Gesellschaft während der Saison in London. Danach ist dieses Haus eine willkommene Zuflucht für mich. Außerdem habe ich natürlich Bekannte hier in der Nachbarschaft, die mich oft besuchen.“
„Verbringst du Zeit auf Ulverdale?“
„Nein.“
„Bald werde ich hingehen müssen und hatte gehofft, du würdest mich begleiten.“
„Ich bedaure, aber ich kann nicht.“
„Du kannst nicht?“
Der milde Ton seiner Stimme täuschte Claudia keinen Moment. Wenn sie ihre Antwort nicht erklärte, würde er darauf beharren, und es käme wieder zum Streit.
„Als ich endlich von Ulverdale fliehen konnte, schwor ich mir, nie wieder dorthin zurückzukehren.“
„Ich verstehe.“
„Wirklich?“ Sie stellte ihr Glas auf den Tisch. „Das bezweifle ich.“
Plötzlich knisterte die Atmosphäre wieder vor Anspannung.
„Willst du es mir vielleicht erklären?“, fragte er.
„Was kann ich dir über deinen Vater sagen, das du nicht schon weißt?“
Er runzelte die Stirn. „Er hat dir doch nicht etwa wehgetan?“
„Er hat nie die Hand gegen mich erhoben, aber er ließ mich in keinem Zweifel darüber, was meine Pflichten sind. Deine Mutter konnte sich allerdings nicht immer so glücklich schätzen.“
Entsetzt starrte er sie an. „Gütiger Himmel! Wenn ich geahnt hätte … Nie kam mir auch nur der Gedanke, er könnte so tief sinken.“ Kurzes Zögern. „Ich war immer sein Prügelknabe, weißt du.“
„Du?“
„Ja. Wir standen uns nie nahe, und als ich größer wurde und erkannte, was seine Spielleidenschaft unserer Familie antat, begann ich, ihn zu verachten.“ Er lächelte freudlos. „Ich versuchte, mit ihm darüber zu reden, machte ihm Vorhaltungen, um ihn Vernunft annehmen zu lassen.“
„Und was geschah?“
Kurz presste er die Zähne zusammen. „Ich bekam eine Tracht Prügel zum Dank.“
Da Claudia genug Gelegenheit gehabt hatte, ihren Schwiegervater kennenzulernen, wusste sie, wie sehr Anthony untertrieb. In der Nähe dieses Grobians bewegte man sich stets auf sehr dünnem Eis. Die geringste Kleinigkeit konnte seinen Zorn entfachen. Wie mochte er da erst auf einen direkten Angriff reagieren? Dass Anthony es dennoch gewagt hatte, war gewiss mutig, sogar bewundernswert, aber nicht unbedingt klug gewesen.
„Das tut mir leid“, sagte sie, „aber es überrascht mich natürlich nicht.“
„Ich dachte immer, ich wäre der Grund für seine Missstimmungen, und seine schlechte Laune würde sich bessern, wenn ich erst einmal fort war.“
„Nein, er suchte sich ganz einfach jemand anderen, an dem er sie auslassen konnte.“
„Ich schwöre, ich hatte keine Ahnung. Zwar wusste ich, dass die Ehe meiner Eltern nicht glücklich war, aber mein Vater war meiner Mutter gegenüber immer kühl, nicht gewalttätig.“
„Am Ende muss dein Vater … unausgeglichen gewesen sein, glaube ich.“
„Das war er schon immer.“
„Und obwohl du das wusstest, hast du mich auf Ulverdale zurückgelassen – dem Ort, dem zu entfliehen du selbst kaum erwarten konntest.“
„Es war falsch von mir, ich weiß.“ Er seufzte. „Vielleicht ist es Zeit, hinzugehen und den Gespenstern von früher die Stirn zu bieten.“
„Du weißt nicht, was mich gequält hat, Anthony. Versuch also nicht, mir zu sagen, wie ich damit umgehen soll.“
„Du kannst nicht vor deinen Ängsten davonlaufen.“
„Du hast es getan.“
Er atmete tief ein. „Und ich bin nicht besonders stolz darauf.“
„Ich schon. Dass ich Ulverdale verlassen habe, halte ich für eine meiner besten Entscheidungen.“
„Das Haus selbst war nicht schuld, Claudia.“
„Die Bastille kann auch nichts dafür, dass sie ein Gefängnis ist. Das macht sie immer noch nicht zu einem Ort, an dem man leben möchte.“
Anthony nickte. „Da du so entschlossen bist, will ich dich nicht länger drängen.“
Eine Weile schwiegen sie, dann war es Claudia, die als Erste das Wort ergriff. „Ich überlege, im nächsten Monat nach London zu fahren.“
„Natürlich. Wir können aufbrechen, wann immer du wünschst.“
Wir. Claudia senkte den Blick, um ihre steigende Gereiztheit zu verbergen. Was hatte sie auch anderes erwartet? Dass er ihr erlauben würde, allein zu reisen? Dass sie ihr altes Leben wie gewohnt weiterführen könnte?
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