Historical Saison Band 20
ihm das fallen würde. Er seufzte. Nach dem, was geschehen war, war sie wahrscheinlich nicht in der Stimmung, ihm zuzuhören. Dennoch musste er es versuchen. Noch einmal atmete er tief durch, machte sich auf zu ihrem Zimmer und klopfte leise an.
„Claudia?“
Als er keine Antwort erhielt, machte er noch einen Versuch, aber ohne Erfolg.
„Claudia, bitte sprich mit mir.“
Es war kein Geräusch zu hören. Anthony drückte die Klinke herunter, aber es war abgeschlossen. Er seufzte wieder. Die einzige Möglichkeit, zu ihr zu gelangen, wäre, die Tür einzutreten, und so weit wollte er nicht gehen. Also gestand er sich fürs Erste seine Niederlage ein und gab auf.
Trotz seiner Müdigkeit konnte er eine ganze Weile nicht einschlafen. Die Erinnerung an Claudia war zu lebendig. Ihr Duft hing in der Luft – zart, sinnlich, aufregend, wie die Frau selbst. Das wundervolle, wenn auch kurze Zwischenspiel hatte seine Leidenschaft nicht gelindert, sondern nur gesteigert. Er wollte sie mehr als alles andere in seinem Leben, wollte sie halten und beschützen und ihr die Geheimnisse seines Herzens verraten. Irgendwie wollte er versuchen, die vielen verschwendeten Jahre wiedergutzumachen. Von all diesen Gedanken wachgehalten, schlief er erst in den frühen Morgenstunden ein.
So war es nicht erstaunlich, dass es bereits zehn Uhr war, als er am nächsten Morgen nach unten ging. Claudia war nirgends zu sehen, was ihn nicht überraschte. Er nahm ein leichtes Frühstück zu sich und las seine Korrespondenz. Als Claudia nach einer Stunde noch immer nicht erschienen war, ging er wieder nach oben und klopfte an die Tür. Keine Antwort. Er drückte die Klinke, und ganz gegen seine Erwartung öffnete sich die Tür.
„Claudia?“
Im Zimmer war es still und recht kühl. Stirnrunzelnd sah er sich um. Das Bett war gemacht, aber im Kamin brannte kein Feuer. Nirgendwo waren Kleidungsstücke zu sehen, nicht einmal ein Taschentuch. Auf dem Toilettentisch lagen weder Bürsten noch Kämme oder Cremetiegel. Allmählich kam ihm ein unangenehmer Verdacht. Mit zwei Schritten war er an der Kommode und riss die Schubladen auf. Jede einzelne war leer. So wie auch der Schrank. Anthony presste die Lippen zusammen. Die Dinge standen schlimmer, als er vermutet hatte. Einen Augenblick lang sah er sich mit wachsender Unruhe um. Dann machte er auf dem Absatz kehrt und ging nach unten, wo er nach dem Butler rief.
„Wo ist Lady Ulverdale?“
„Sie ist heute Morgen früh abgereist, Mylord.“
„Ich verstehe.“ Er verstand nur allzu gut, und sofort kehrte die Erinnerung an die gestrige Nacht zurück. Mühsam riss er sich zusammen. „Nach London, nehme ich an.“
„Ja, Mylord.“
„War sie allein?“
„Nein, ihre Zofe fuhr mit ihr.“
Wenigstens dafür konnte er dankbar sein. „Sagen Sie Matthew, dass ich ihn sofort sprechen möchte.“
Eine Stunde später befand er sich bereits auf dem Weg. Das bot ihm ausreichend Gelegenheit, über seine Torheit nachzugrübeln. Er hätte bereits gestern Abend mit ihr sprechen sollen. Er hätte die Tür eintreten, Claudia in die Arme nehmen und sie um Vergebung anflehen sollen. Stattdessen hatte er sich seinen Zweifeln hingegeben und die Kluft zwischen ihnen weiter werden lassen. Ihm war nicht klar, wie er die Dinge wieder in Ordnung bringen sollte, nur, dass er es unbedingt versuchen musste. Dafür musste er sie jedoch zunächst einmal finden.
Claudia bemerkte nichts von der schönen Landschaft, die am Fenster der Kutsche vorbeizog, ebenso wenig wie vom geschäftigen Betrieb in der Herberge am Kai oder später auf dem Paketschiff. Sie war in Gedanken ganz woanders. Die ganze Nacht über hatte sie kaum geschlafen und war schon bei Morgengrauen aufgestanden. Ihr Körper pochte noch immer bei der Erinnerung an die kurze, leidenschaftliche Begegnung mit Anthony. Nie hätte sie sich träumen lassen, dass ein Mann solche Gefühle in ihr wecken könnte. Im Grunde hätte das gestrige Desaster ihre Leidenschaft ersticken müssen, aber zu ihrer Beschämung schien sie nur noch heftiger geworden zu sein. Schon der Gedanke an Anthony ließ ihr Herz wild klopfen. Die Erinnerung an seine Zärtlichkeiten wollte sie einfach nicht verlassen. Wie sehr war sie in Versuchung gewesen, ihm letzte Nacht die Tür zu öffnen und ihn hereinzulassen. Doch wenn sie das getan hätte, wäre nur ein einziger Ausgang möglich gewesen. Niemals hätte sie die Kraft gehabt, ihn abzuweisen, wenn er sie berührt hätte. Sie hätte sich einem
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