Historical Saison Band 20
gesehen hast.“
„Ja, das stimmt.“
„Nun, Brüssel könnte euch helfen, euch langsam besser kennenzulernen. Wie eine zweite Hochzeitsreise sozusagen.“
Claudia lachte. „Es hat ja nicht einmal eine erste gegeben. Außerdem ist mein Gatte nicht mitgekommen.“
„Oh.“ Anne war einen Moment verblüfft. „Zweifellos hatte er wichtige Geschäfte zu erledigen und wird später zu dir stoßen.“
„Er führt sein Leben, und ich meins. So ist es schon immer gewesen.“ Aus keinem besonderen Grund schnürte es Claudia plötzlich die Kehle zu. „Nun, ich werde mich eben mit dem gesellschaftlichen Leben zufriedengeben müssen.“
Anne musterte sie einen Moment nachdenklich. „Dann leiste uns morgen in der Oper Gesellschaft. Die Catalani singt. Es wird dir bestimmt gefallen und wäre eine gute Gelegenheit, deine übrigen Freunde und Bekannten von deiner Ankunft zu unterrichten.“
Claudia konnte sich nur zu einem schwachen Lächeln aufraffen. „Danke. Das wäre reizend.“
Anthony kehrte am folgenden Tag nach Oakley Court zurück und überlegte seine nächsten Schritte. Ständig musste er daran denken, wie verzweifelt und unglücklich Claudia gewesen sein musste, um sich zu einer Flucht zu entschließen. Am schlimmsten traf ihn, dass er selbst der Grund für diese Verzweiflung war. Er war hin- und hergerissen zwischen Schuldgefühlen und zunehmender Sorge und konnte nur hoffen, dass sie bei Freunden untergekommen und nicht allein war.
Das Haus erschien ihm seltsam still und leblos. Während er in der Halle stand, ertappte er sich dabei, wie er auf das Rascheln ihrer Röcke lauschte oder auf Musik aus dem Salon – wie er darauf hoffte, dass Claudia ihre Meinung geändert hatte und wieder heimgekommen war. Aber leider umsonst. Stattdessen schien die Stille noch schwerer auf ihm zu lasten, als wollte sie ihn verspotten.
Entschlossen machte er sich daran, Spuren zu suchen. In Claudias Zimmer ergab seine Suche nichts, in der Bibliothek ebenfalls nicht. Schließlich betrat er den Salon und blieb neben dem Kamin stehen, um nachzudenken. Während er unruhig den Blick schweifen ließ, fiel ihm der Sekretär auf. Sein Herz setzte einen Schlag aus.
Sofort ging er daran, die kleinen Schubladen zu durchwühlen, und brachte einen Stapel von Papieren zum Vorschein – Einladungen, Rechnungen, Listen, Inventare. Nach einem Blick darauf warf er sie beiseite. In der letzten Schublade entdeckte er ein Bündel von Briefen, die mit einem roten Band zusammengebunden waren. Er löste es und ging jeden Brief durch. Die meisten stammten von Lady Harrington. Unter anderen Umständen hätte er niemals fremde Korrespondenz gelesen, aber dies waren keine normalen Umstände. Hastig überflog er den Inhalt, ohne etwas von Bedeutung zu entdecken – nur Familiengeschichten, Berichte von gesellschaftlichen Ereignissen, die Absicht, nach Brüssel zu reisen …
Plötzlich hielt er inne. Natürlich! Wie hatte er etwas so Offensichtliches übersehen können? Er lächelte grimmig. Jetzt wusste er endlich, wo er seine Frau finden würde.
Wie Anne gesagt hatte, brachte ein Besuch der Oper Claudia wieder mit mehreren Freunden und Bekannten zusammen. Auch einige Offiziere registrierten ihre Ankunft mit Interesse und baten sogar darum, ihr vorgestellt zu werden. Als Folge davon erhielt Claudia einen ganzen Berg von Einladungen. Mehrere Tage lang verlor sie sich in einem wahren Wirbelsturm von Einkaufsbummeln und Soireen.
Zwischendurch machte sie sich mit dem Haus vertraut, das sie in der Rue de Namur gemietet hatte. Es lag an einer angenehmen Straße dicht am Park, in der elegantesten Gegend der Stadt. Das Haus selbst sah mit seiner blassrosafarbenen Fassade und den grünen Fensterläden recht hübsch aus, und die verblasste Pracht im Inneren passte gut zu Claudias gegenwärtiger Stimmung. Sie hatte bereits begonnen, hiesiges Personal einzustellen.
Tagsüber war sie mit allem so sehr beschäftigt, dass es ihr gelang, nicht allzu viel an Anthony zu denken. In der Nacht allerdings, wenn sie allein in ihrem Zimmer lag, stürmten die Erinnerungen gnadenlos auf sie ein. Das Bett erschien ihr zu groß. Wann immer sie die Augen schloss, sah sie sein Gesicht, spürte seinen Körper dicht an ihrem. So sehr sie auch versuchte, ihn zu vergessen, es ging über ihre Kraft. Wenn zwischen ihnen doch alles anders wäre. Wenn doch nur die körperliche Anziehungskraft auch zu aufrichtiger Zuneigung geführt hätte, aber sein Herz war stets so ungerührt
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