Historical Saison Band 20
Pferdegespann davonführten. Dann spürte sie kalte Luft auf dem Gesicht, als die Tür aufgerissen wurde und Duval zurückkehrte.
„Wo sind wir?“
„Kurz vor St Germain.“
„Halten wir hier für die Nacht?“
„Nur bis wir das Gespann gewechselt haben. Ich möchte so viel Abstand wie nur möglich zwischen uns und Paris bringen, bevor wir uns ausruhen.“
Dieses eine Mal verspürte sie nicht den Wunsch, ihm zu widersprechen. Bald darauf wurden frische Pferde angespannt, und sie fuhren weiter. Da Duval kein Interesse an einer Unterhaltung zu haben schien, blieb Claudine wieder ihren Gedanken überlassen. Hin und wieder nickte sie wieder ein, sodass die folgenden Stunden wie in einem Nebel vorbeieilten. Es war kurz vor Mitternacht, als sie wieder an einer Poststation hielten.
Duval kümmerte sich um eine Unterkunft. Er begleitete Claudine zu ihrem Zimmer und blieb kurz auf der Schwelle stehen. „Ruhen Sie sich ein wenig aus. Morgen liegt ein langer Tag vor uns, und wir reisen früh ab.“ Er hielt inne. „Falls Sie mich brauchen, finden Sie mich gleich im anliegenden Zimmer.“
Und damit ließ er sie allein und schloss die Tür hinter sich. Claudine atmete tief ein. Ihr war kurz der Gedanke gekommen, er könnte versuchen, die Situation auszunutzen. Aber offenbar hatte sie sich da in ihm getäuscht. Er hatte kein einziges Mal wieder auf die intimen Ereignisse angespielt, die zwischen ihnen vorgefallen waren. Wahrscheinlich war er genau wie sie der Meinung, dass sie keine weiteren Komplikationen gebrauchen konnten.
Da sie kein Gepäck dabei hatte, musste sie sich damit begnügen, Hände und Gesicht zu waschen. Nachdem sie ihr Kleid abgelegt hatte, setzte sie sich auf das Bett und leerte ihr Retikül. Außer der Pistole enthielt es ein Taschentuch und eine Handvoll Münzen. Irgendwann in der nahen Zukunft würde sie einige notwendige Dinge erstehen müssen. Ihre Kleidung würde sie wohl nie wieder sehen, da sie sie in Paris hatte zurücklassen müssen. Doch einige Kleider waren ein kleiner Preis für ihre Freiheit, vielleicht sogar ihr Leben. Sie verstaute alles wieder im Retikül, legte sich ins Bett und löschte die Kerze.
Die Laken fühlten sich kühl an, und sie erschauderte. Welch Unterschied zum letzten Mal. Gegen ihren Willen musste sie an den harten männlichen Körper denken, der sie erwärmt hatte. Unwillkürlich hob sie eine Hand an die Lippen. Noch immer glaubte sie, Duvals Küsse zu spüren. Die Erinnerung daran entfachte eine sehnsüchtige Hitze in ihr. Sie durfte einfach nicht daran denken. Es wäre katastrophal, und das durfte sie auf keinen Fall vergessen.
Sie reisten sehr früh am nächsten Morgen ab. Bisher gab es keine Anzeichen dafür, dass sie jemand verfolgte, wofür Claudine zutiefst dankbar war. Jetzt, da die unmittelbare Gefahr gebannt schien und ihr Gefährte offenbar noch immer abgeneigt war, sich mit ihr zu unterhalten, sah sie sich mit größerem Interesse um. Die Kutsche, in der sie fuhren, war erstaunlich bequem, und Matthieu, der Kutscher, sehr geschickt. Zunächst hatte sie geglaubt, der Mann sei nur für diese Reise angeheuert worden, aber inzwischen war sie sich nicht mehr so sicher. Obwohl seine Haltung höflich und respektvoll war, benahm er sich Duval gegenüber nicht wie ein Fremder, sondern eher wie ein treuer Diener gegenüber seinem Herrn. Außerdem hatte es den Anschein, dass er die Route sehr gut kannte – wo sie Pferde wechseln konnten, wo sich die besten Herbergen befanden. Auch Duval selbst schien kein gewöhnlicher Abenteurer zu sein. Kein einziges Mal hob er die Stimme, doch wenn er sprach, wurde seinen Worten sofort Folge geleistet. Seine ganze Art war die eines Mannes, der es gewohnt war, Befehle zu erteilen, denen auch gehorcht wurde. Er hielt sich aufrecht wie ein Soldat, und doch waren seine Bewegungen geschmeidig. Und trotz seiner recht einschüchternden Art sprach er stets wie ein Gentleman.
Das Tageslicht enthüllte alles ihren neugierigen Blicken. Sie konnte jetzt sehen, dass er leicht sonnengebräunt war und das Haar, das im Kerzenlicht fast braun erschienen war, in Wirklichkeit die Farbe von reifem Weizen aufwies. Vor allem aber fiel ihr der Unterschied zwischen der unverletzten und der entstellten Seite seines Gesichts jetzt umso mehr auf. Er musste einmal ein klassisch schöner Mann gewesen sein, der keine Frau ungerührt ließ. Seine Verletzungen hatten das ein für alle Mal verändert – er war nicht nur attraktiv, die Narben verliehen
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