Historical Weihnachten Band 6
unterwerfen?
In der Schriftrolle hatte er angedeutet, dass er vor ihrer Heirat mit ihr sprechen wollte, was auf ein sehr intimes Interesse schließen ließ. Wieder lief ihr ein Schauer den Rücken herunter, während sie auf seine Antwort wartete.
„Das würde ich allerdings nicht.“ Nichts außer seiner Stimme war in der Braustube zu hören. „Zumindest noch nicht.“
Ein weiterer kalter Windstoß fegte durch die offene Tür, blies ihr den Rock gegen die Beine. Da sie nicht weiter frieren wollte, ließ Helene die Tür ins Schloss fallen und wurde sogleich von Dunkelheit umschlossen.
Sie war alleine. Mit ihm.
„Warum nicht?“, fragte sie, hob die Röcke ein wenig an und schlüpfte schnell aus ihren Schuhen, damit sie lautlos zu der Stelle gelangen konnte, wo das Tablett mit den Speisen auf sie wartete.
„Ist es Euch nie so gegangen, dass Ihr als die Person wahrgenommen werden wolltet, die Ihr wirklich seid, und nicht als die Person, für die man Euch hält?“
Die Frage ließ sie innehalten.
Unwillkürlich dachte sie an Léod und das, was man sich über ihn erzählte. Aber da er nichts gegen die Gerüchte unternahm, nach denen er sein Land mit eiserner Hand regierte, kümmerte es ihn offensichtlich wenig, was die Welt von ihm hielt. Wer konnte dieser geheimnisvolle Fremde also sein?
War er ein Bediensteter oder ein Krieger? Sie hatte bisher noch nie daran gedacht, dass ein Mann von geringerer Stellung Interesse an ihr haben könnte. Während sie eilig auf die kleinen Flammen zulief, die unter dem Kessel züngelten, konnte sie das Tablett mit Speisen ausmachen. Es stand neben der Feuerstelle auf einem niedrigen Tisch, und daneben lag ein riesiger Löffel nebst einigen Schürhaken und ähnlichen Werkzeugen. Als sie das Zinntablett aufhob, sah sie sich noch einmal in die Richtung um, in der sie den Unbekannten vermutete. Aber so dicht neben der einzigen Lichtquelle des Raums war es eher noch schwieriger, etwas auszumachen.
„Das wünscht sich wohl jeder manchmal“, beantwortete sie seine Frage. Sie ergriff den Weinkrug, der ein wenig schwankte, fester und zog sich dann mit ihrer Beute wieder in Richtung Tür zurück. Daneben entdeckte sie schmenenhaft eine Werkbank an der Wand. Dort stellte sie das Tablett ab, setzte sich davor auf den Hocker und biss herzhaft in das Stück Brot. Wenn ich ihn doch nur sehen könnte!
Woher sollte sie wissen, ob er der Richtige für ihren Plan war, sich in Verruf zu bringen?
„Weiß Mac Ruadhán, was für eine Frau Ihr wirklich seid?“ Die leise Frage schien von überall her zu kommen; sicher eine Täuschung, hervorgerufen durch seine klangvolle Stimme und die runden Wände.
Nun, er hatte schon in seiner Botschaft deutlich gemacht, dass er von ihrer Verlobung wusste. Aber die Art, wie er Léods Namen aussprach, ließ sie vermuten, dass er selbst ebenfalls ein Laird war, denn da war keine Spur von Ehrerbietung in seiner Stimme, wenn er von dem Mann sprach, der selbst unter Gleichgestellten Neid und Ehrfurcht hervorrief.
„Ich glaube nicht, dass er besonders daran interessiert ist, Menschen wirklich kennenzulernen. Er scheint sich damit zufriedenzugeben, Reichtum anzuhäufen und Furcht zu erzeugen.“ Eigentlich müsste ihr unbehaglich dabei zumute sein, diesem Fremden in der Dunkelheit solche Gedanken anzuvertrauen. Dennoch fühlte sie sich auf unerklärliche Weise sicher, während sie das köstliche Mahl genoss, das er ihr gebracht hatte, und dabei über die Sorgen sprach, von denen nicht einmal ihre Eltern etwas hatten hören wollen.
Sie goss etwas von dem Wein in einen Becher und führte ihn an die Lippen, bevor sie merkte, dass es sich bei dem Trank nicht um Wein handelte, sondern um den berühmten Met von Domhnaill. Das süße Gebräu aus Honig und Gewürzen schmeichelte ihrer Zunge und wärmte von innen, sodass sich ein wohliges Gefühl in ihrem Körper ausbreitete.
„Wenn Ihr Eurem Verlobten eine Sache über Euch preisgeben wolltet, was wäre das?“
Diese Stimme! Sie klang in ihren Ohren wie eine Liebkosung. Beinahe glaubte Helene, sie zu kennen. Oder vielleicht erschien ihr der Klang nur inzwischen vertraut, da sie sich daran gewöhnt hatte, dass er hier mit ihr in der Dunkelheit saß, gerade außerhalb ihres Blickfelds.
„Ich denke nicht einmal daran, jemandem etwas von mir preiszugeben, der Freude daran hat, Frauen Angst einzujagen.“ Während sie sich mit ihrem Messer etwas von dem Fleisch abschnitt, dachte sie daran, wie sie vor ihm davongelaufen
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