Historical Weihnachten Band 6
hatte etwas für sich –, aber die Tiere hatten sich wohl alle in die Große Halle geschlichen, wo es nach dem Festmahl eine reiche Beute an Knochen für sie geben würde.
Helene ließ sich davon aber nicht entmutigen und öffnete die hölzerne Tür, die von zwei Wachmännern des Domhnaill-Clans bewacht wurde. Die beiden waren so in ihr Würfelspiel vertieft, dass sie ihr kaum einen Blick schenkten; ihre gut gefüllten Becher ließen darauf schließen, dass sie dem Trank genauso zusprachen wie die Feiernden in der Halle. Helene zog sich die Kapuze tiefer ins Gesicht und trat durch das Tor hinaus in den sacht fallenden Schnee, um die glatten Steine vor dem Burgeingang zu überqueren. Überall auf den Hügeln sah sie festliche Lagerfeuer, wo weitere Clanmitglieder Wache hielten und dabei ebenfalls die Raunächte feierten. Der Geruch von brennendem Fichten- und Eichenholz lag, süß und beißend zugleich, in der kalten, klaren Luft. Helene fiel bei dem Anblick der vielen Wachtposten ein Stein vom Herzen. Bluthund oder nicht, sie würde heute Nacht sicher sein.
Und wenn dennoch etwas schiefging, konnte sie immer noch davonlaufen – natürlich nicht, ohne sich das Tablett zu schnappen. Immerhin war sie völlig ausgehungert.
Noch bevor sie das Metbrauhaus erreicht hatte, roch sie den aromatischen Duft von Honig und Gewürznelken, der von den Braukesseln im Innern ausging. Der Domhnaill-Clan machte den besten Met von ganz Schottland, und die Aussicht, etwas von diesem edlen Tropfen zu erhalten, brachte Gäste aus allen Winkeln des Landes zu Lady Cristianas Winterfeierlichkeiten.
Helene betrat das dunkle Gebäude. Die einzige Lichtquelle darin war ein fast ausgebranntes Feuer am anderen Ende des Raums. Darüber hing ein Kessel, dicht über den Flammen, um möglichst viel von der Hitze zu nutzen. Die schwache Glut und die gelegentliche blaue Stichflamme reichten nicht aus, um viel von ihrer Umgebung erkennen zu lassen, deshalb ließ Helene die Tür für einen Moment offen, um das Mondlicht hereinzulassen, während ihre Augen sich an das Dämmerlicht gewöhnten.
„Ihr seid gekommen.“ Das tiefe männliche Flüstern schien ihre Haut zu streifen, obwohl der Sprecher offenbar in einiger Entfernung stand. Es klang gleichzeitig unirdisch und sehr real, und Helene erschauerte.
„Wer ist da?“, fragte sie, zunehmend angespannt. Sie war froh, dass sie so nahe an der Tür stand, für den Fall, dass sie schnell davonlaufen musste.
„Der Überbringer Eures Mahls“, bekam sie zur Antwort. Die Stimme klang ruhig und ungerührt, als säße der Sprecher entspannt zurückgelehnt auf einem Stuhl und machte keine Anstalten, ihr entgegenzutreten. „Ich habe es beim Feuer abgestellt, damit es warm bleibt.“
Spielte ihr der Hunger einen Streich, oder roch sie tatsächlich geröstete Ente und knusprigen Braten? Helene lockerte ihren Griff auf der Türklinke und ließ den Blick durch den Raum schweifen in der Hoffnung, ihren geheimnisvollen Gastgeber zu erspähen.
„Ich würde das Mahl lieber hier zu mir nehmen, für den Fall, dass mir Eure Gesellschaft nicht gefällt, mein Herr.“ Doch um die Wahrheit zu sagen, gefiel ihr seine Stimme sogar sehr. Sie klang warm und selbstsicher. Die Stimme eines echten Mannes, nicht die eines Jünglings.
„Dann werdet Ihr hungrig bleiben, denn Ihr müsst Euch das Mahl selbst von der Feuerstelle holen. Ich habe gelobt, mich erst von der Stelle zu bewegen, wenn Ihr es wünscht. Wenn Ihr immer wisst, wo ich bin, fühlt Ihr Euch vielleicht sicherer.“
„Aber wo seid Ihr?“ Wieder sah sie sich um. Sie öffnete die Tür etwas weiter, um das silbrige Licht des Mondes hereinzulassen. Leider kam damit auch der schneidende Winterwind herein, der ihr Schneeflocken und Eiskristalle ins Gesicht blies.
„Ich habe noch nicht vor, mich sehen zu lassen“, antwortete er in demselben seltsam gebieterischen Flüsterton wie zuvor. Die runden Wände des Metbrauhauses warfen seine Stimme zurück, sodass sie von allen Seiten gleichzeitig zu kommen schien. „Bitte, seid ganz entspannt und schließt die Tür, um den Winter auszusperren. Ich sitze hier auf einem Sack gemahlenen Getreides und werde mich erst rühren, wenn Ihr es wünscht. Darauf gebe ich Euch mein Wort.“
„Wenn ich Euch bitte, ins Licht zu treten, würdet Ihr das dann tun?“ Helene hatte nicht die leiseste Ahnung, wer sie hierher eingeladen hatte. Wer suchte ihre Gesellschaft und versprach dafür, sich ganz ihrem Befehl zu
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