Historical Weihnachten Band 6
blickte stumm in seinen Kelch, hob ihn an die Lippen und nahm einen großen Schluck.
„Bitte, Onkel, ich möchte es wissen. Habt Ihr mir noch nichts gesagt, weil die Verlobung vielleicht noch nicht spruchreif ist? Hat der Auserwählte eventuell noch Vorbehalte?“
„Natürlich nicht! Bei dem Vermögen, das dir bei deiner Heirat zugesprochen wird, müsste er verrückt sein.“
Das war es also. Ihr Vermögen, das Erbe, über das sie oder besser gesagt ihr Gatte verfügen konnte, sobald sie verheiratet war. Giselle wusste, dass es sich dabei um eine erhebliche Summe handelte, aber wie hoch sie genau war, das wusste sie nicht. „Wenigstens haltet Ihr ihn also nicht für einen Dummkopf.“ Giselle versuchte, sich vor ihrem Onkel nichts von dem Aufruhr anmerken zu lassen, der in ihrem Innern tobte. Die Entscheidung war bereits gefallen, und sie konnte nichts mehr dagegen tun. „Dürfte ich erfahren, wer der Auserwählte ist?“
„Es ist Sir Myles Buxton.“
Giselle hatte diesen Namen noch nie gehört, aber das war im Grunde auch nicht anders zu erwarten. Die wenigen Männer, die sie vom Hörensagen kannte, konnte sie an einer Hand abzählen. Lady Katherine hielt es für unschicklich zu klatschen, und unter Klatsch verstand die eiserne Lady schon den Austausch selbst der harmlosesten Neuigkeiten.
„Und darf ich fragen, lieber Onkel, wie alt er ist?“
„Fünf Jahre älter als du.“
Gott sei Dank! Wenigstens war er kein alter Mann! Aber irgendetwas musste ihn doch bewogen haben, um ihre Hand anzuhalten.
„Ist er womöglich in wirtschaftlichen Schwierigkeiten?“
„Wo denkst du hin, Kind? Glaubst du etwa, ich wäre von Sinnen? Viele wohlhabende junge Herren würden sich glücklich schätzen, in unsere Familie einheiraten zu können!“
„Es tut mir leid, Onkel, ich wollte Euch nicht verärgern. Ich würde nur gern wissen, warum die Verlobung noch nicht bestätigt ist, wo Ihr doch gar nicht vorhattet, mich vorher zu fragen.“
„Er muss nur noch den Vertrag unterschreiben, das ist alles.“
Dies war vielleicht die allerletzte Chance, ihren Onkel umzustimmen, und Giselle griff nach ihr wie ein Ertrinkender nach einem Strohhalm. „Ich bin sicher, dass Ihr eine gute Wahl für mich getroffen habt, lieber Onkel. Aber wenn die Verlobung noch nicht offiziell ist, könntet Ihr mir doch die Bitte gewähren, an Eurer Entscheidung teilzuhaben. Immerhin wäre das mein gutes Recht.“
Sir Wilfrid traute seinen Ohren nicht. „Von welchem Recht sprichst du?“, polterte er und vergoss dabei ein paar Tropfen des dunkelroten Weines auf dem weißen Tafeltuch. „Wer in drei Teufels Namen hat dir das eingeflüstert? Du kannst dir nicht die Freiheit nehmen, ihn abzulehnen!“
„Lady Katherines Priester sagt da aber etwas anderes. Ich habe ihn befragt, und er hat mir versichert, dass jede junge Dame das Recht hat, den Gatten, den ihre Familie für sie ausgesucht hat, abzuweisen.“ Ein Diener kam herbeigeeilt und versuchte, die Weinflecken auf dem weißen Leinen so gut es ging zu entfernen.
„Du willst also Sir Myles Buxton ablehnen, obwohl du ihn noch nie gesehen hast?“
Giselle spürte, dass sie an Boden gewann, ein kleines Stückchen nur, aber das war sie nicht mehr bereit, aufzugeben. „Also gut, ich werde ihn mir ansehen. Wann kann ich ihn treffen?“
„Er kommt an Weihnachten zu uns, um den Vertrag zu unterzeichnen.“
„Also gut, lieber Onkel“, sagte Giselle und versuchte, dabei so sachlich wie möglich zu klingen. „Ich schlage Euch Folgendes vor: Dieses Jahr werde ich allein die Festlichkeiten für die Feiertage vorbereiten. Ich werde Euch beweisen, dass ich eine reife Frau bin, die Entscheidungen fällen und die Verantwortung für den gesamten Ablauf des Festes übernehmen kann. Wenn ich Euch während dieser zwölf Tage davon überzeugen kann und Ihr nichts zu bemängeln habt, gesteht Ihr mir dann auch eine Entscheidung über die Verlobung zu?“
Sir Wilfrid kratzte sich nachdenklich an seinem dichten grauen Vollbart. „Du meinst also, dass du in der Lage bist, die zwölftägigen Festlichkeiten, von Weihnachten bis Epiphanias, allein zu organisieren? Die Unterkünfte für unsere Gäste und ihre Dienerschaft, die Verköstigung, die Auftritte der Künstler, der Chöre und der Musiker, und die Ausstattung des Festsaals?“
Giselle zögerte nur einen winzigen Augenblick. Ja, sie wusste, dass sie dazu in der Lage war; auf solche Aufgaben war sie vorbereitet und hätte sich an noch viel größere
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