Historical Weihnachten Band 6
Moment keine Ablenkung zu erwarten. Er stand auf der anderen Seite der Halle und unterhielt sich angeregt mit ein paar jungen Edelmännern.
Tiefe Befriedigung machte sich in ihr breit. Dieser Abend, das wichtigste Fest von allen, war so reibungslos und feierlich verlaufen, wie sie es sich gewünscht hatte.
Am nächsten Morgen erfuhr sie, dass Sir Myles sich mit einigen anderen Edelleuten zu einem Ausritt verabredet hatte, und so war sie den ganzen Tag über von seiner Gegenwart befreit.
Als Giselle sich später entspannt und gut gelaunt für das abendliche Mahl umkleiden wollte, fragte sie sich sogar, warum sie Sir Myles eigentlich nicht wieder zu ihrem Tischnachbarn machen sollte. Wenn er sich weiter so unaufdringlich verhielt, würde seine Nähe bestimmt leichter zu ertragen sein.
Auf dem breiten Bett unter dem hohen Baldachin hatte Mary bereits ihr Lieblingskleid ausgebreitet, als Giselle ihr Turmzimmer betrat. Das Gewand war aus tiefblauer feiner Wolle gewebt, verziert mit silbernen Bordüren an Taille und Saum, und dazu hatte die Zofe einen Schal aus derselben abendhimmelblauen Farbe herausgesucht.
Heute würde Giselle ihr Haar offen tragen, und mit der kleinen silberfarbenen Kappe wäre die Abendgarderobe perfekt.
Doch was war das für eine kleine hölzerne Schatulle da neben ihrem Kleid? Neugierig griff sie nach dem Kästchen, das sie beinahe übersehen hätte, und öffnete den Deckel.
Darin verbarg sich ein Schal in der scheußlichsten Farbe, die sie je gesehen hatte – erbsengrün, so matt wie matschige Erbsen. Schade nur, dass er aus allerfeinster Seide war, aber deshalb würde er ihr auch nicht besser stehen. Mit dieser Farbe sah sie aus wie eine Leiche.
Wer hatte nur die furchtbare Idee gehabt, ihr so etwas zu schenken? Ihr Onkel? Nein, Sir Wilfrid nannte derlei Dinge „überflüssigen Tand“. Aber Sir Myles womöglich.
Der kam schon eher in Betracht, denn es war durchaus üblich, dass ein Mann seiner Auserwählten an Weihnachten zwölf Gaben brachte – für jeden Tag eine, bis zum Dreikönigsfest.
Du liebe Güte, dann konnte sie sich ja noch auf elf weitere Geschmacklosigkeiten gefasst machen! Eigentlich hätte sie Sir Myles mehr Stilgefühl zugetraut, zumindest seine eigene Kleidung zeugte von gutem Geschmack.
Selbst wenn man ihm zugutehalten musste, dass er dieses … dieses Ding für eine Unbekannte ausgesucht hatte, war es doch nicht mehr wert als ein höfliches Dankeschön. Giselle legte den Schal zurück in die Schatulle und schob sie tief nach unten in ihre Kleidertruhe.
Als sie wenig später den Festsaal betrat und sich prüfend umsah, blieb ihr Blick an einer Gestalt hängen, die mit dem Rücken zu ihr neben einem der Kamine stand. Sir Myles war allerdings auch von hinten leicht an dem dunklen, lockigen Haar zu erkennen, das bis auf seine breiten Schultern fiel. Er trug schwarze Stiefel aus weichem Leder und einen knielangen Umhang aus feinem schwarzem Tuch, dazu einen breiten, aus goldenen Ringen geschmiedeten Gürtel. Unverkennbar war auch die Art, wie er sich mit der Geschmeidigkeit einer Katze bewegte. Es war etwas Anziehendes an seiner Erscheinung, und Giselle hätte wetten können, dass er das wusste. Wenn jemand so von sich eingenommen war wie er, dann hatte das einen Grund. Bestimmt war er schon als Kind gehätschelt und verwöhnt worden, der Liebling aller, von den Eltern bis hin zu den Dienstboten.
Als fühlte er ihren Blick in seinem Rücken, drehte er sich plötzlich um und bewegte sich gemächlich auf sie zu. In seinem Gesicht erkannte Giselle allerdings keinerlei freudigen Überschwang, noch nicht einmal höfliche Freundlichkeit.
Er ist beleidigt, dachte sie. Er vermisst seinen hässlichen erbsengrünen Schal.
Während des Essens herrschte eisige Stille zwischen ihnen, und so angeregt sich Sir Myles auch mit seinen anderen Tischnachbarn unterhielt, so unterkühlt waren die wenigen Bemerkungen, die er in Lady Giselles Richtung machte. Vielleicht war es an der Zeit, die Stimmung ein wenig aufzutauen und endlich ein Wort über den Schal zu verlieren. Sie wartete, bis der erste Fischgang abgeräumt und der Karpfen serviert wurde, und sagte dann leichthin: „Ich habe heute eine Schatulle mit einem Schal in meinem Zimmer gefunden. Eine Gabe von Euch, Sir Myles?“
„Das stimmt allerdings. Oder bekommt Ihr oft Geschenke von fremden Männern?“
„Nein. Habt vielen Dank dafür.“ So. Das war erledigt.
Myles wandte sich seinem Karpfen zu und war zufrieden, dass
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