Historical Weihnachten Band 6
und folgte dem Blick der anderen, vor allem den glänzenden Augen seiner Frau. Bewundernd beobachteten sie Sir Myles, der in Reitkleidung quer über den Hof auf die Stallungen zuging.
Giselle konnte verstehen, dass seine Erscheinung für Aufsehen sorgte; dass er ein gut aussehender Mann war, würde sie auch nie bestreiten. Nur seine Umgangsformen ließen einiges zu wünschen übrig.
Andachtsvoll sah die Truppe zu, wie er sich auf seinen rassigen schwarzen Hengst schwang, dessen Temperament er spielerisch leicht einzig mit dem Druck seiner Schenkel zu bändigen schien, die Zügel lose in der Hand haltend. Auch eine Anzahl anderer Edelleute in Reitkleidung stiegen auf ihre Pferde, und wenn sie den Burghof erst einmal verlassen hatten, würden sie so schnell nicht wiederkommen. Sir Myles wäre für Stunden mit anderen Dingen beschäftigt, als Giselle mit seiner irritierenden Gegenwart zu behindern.
„Lieber Matthew“, flötete sie mit süßer Stimme, während eine bestimmte Vorstellung vor ihrem geistigen Auge Gestalt annahm. „Du würdest mir eine große Freude bereiten, wenn du bei eurem Auftritt heute Abend auch eine Myles-Buxton-Parodie zeigen würdest.“
Genauer gesagt, es würde ihr einen höllischen Spaß machen, Sir Myles’ gepriesenen Humor auf die Probe zu stellen. Ob er sich auch dann noch so gönnerhaft verhalten würde, wenn sie dabei zusah, wie die Possenreißer ihn auf die Schippe nahmen? Matthew sprang mit großer Freude auf ihren Vorschlag an.
„Mit Vergnügen, Mylady! Wie sollen wir ihn darstellen? Als Sir George im Kampf mit dem feuerspeienden Drachen?“
„Das überlasse ich deiner Fantasie, Matthew. Aber es ist kalt hier draußen. Ich lasse jemanden rufen, der euch und eure Truppe zu euren Quartieren bringt.“
„Untertänigsten Dank, Mylady. Wir werden Euch heute Abend nicht enttäuschen.“
„Das kann ich mir auch nicht vorstellen. Was ist, Mary?“, rief sie ihrer Zofe entgegen, die mit wehenden Röcken auf den Hof geeilt kam, das Gesicht gerötet von der kalten Luft und der Anstrengung des Laufens.
„Lady Giselle, Euer Onkel möchte Euch unverzüglich sehen! Er wartet in seinem Privatgemach auf Euch!“
„Warum bist du denn so aufgeregt? Hat er irgendetwas gesagt, warum er mich sprechen will?“
„Nein, aber er ist wütend, brummt wie ein Bär und scheucht mich hierher, um Sie zu holen.“
Lady Giselle war ratlos. Was mochte ihren gutmütigen Onkel derart in Rage gebracht haben?
„Hat er gar nichts gesagt?“
„Nein, ich habe keine Ahnung! Ihr habt alles so gut vorbereitet, alles läuft wie am Schnürchen, er hat keinen Grund, Euch zu tadeln.“
Hoffentlich hatte Mary recht. Giselle war sich keines Malheurs bewusst, abgesehen von dem verkeilten Baumstamm im Tor und dem fehlenden Heu, aber beide Missgeschicke hatte sie rasch behoben, noch bevor Sir Wilfrid überhaupt etwas davon bemerken konnte.
Mit zitternden Knien folgte sie Mary ins Haus, gab ihr ihren Umhang und blieb vor Sir Wuthertons Gemach kurz stehen, um sich zu sammeln. Dann klopfte sie.
„Komm rein und mach die Tür zu!“ Sir Wilfrid lehnte in seinem Stuhl, die Hunde zu seinen Füßen, vor sich auf dem Tisch einen Kelch mit Met. Er war ein Mann der Tat, der ohne Umschweife zum Kern einer Unterredung kam. Große Vorreden lagen ihm nicht. „Was hast du an Sir Myles auszusetzen?“
Lady Giselles Gesicht verriet die gleiche Aufsässigkeit, die er auch von ihrer Mutter, seiner Schwester Livia, kannte. „Sir Myles ist der feinste Edelmann im ganzen Königreich, und ein überaus stattlicher Kerl noch dazu. Jede unverheiratete junge Dame im Umkreis von tausend Meilen wäre glücklich, wenn er sie zur Frau nehmen würde.“
„Dann soll er doch! Soll er eine von denen nehmen!“
„Giselle!“, polterte Sir Wilfrid los und vergaß, dass er eigentlich mit nüchternen Worten an ihren Verstand hatte appellieren wollen. „Hast du überhaupt eine Ahnung, wie viel Zeit und Überlegung nötig waren, um den Vertrag mit ihm aufzusetzen? Ich werde nicht dulden, dass jemand aus einer Laune heraus alles wieder zunichtemacht, nicht einmal du, mein liebes Kind!“
„Ich wollte Euch nicht verärgern, lieber Onkel“, versuchte Giselle ihn zu besänftigen. „Aber bitte versteht mich doch. Er kommt hierher und führt sich auf wie jemand, der nur mit den Fingern zu schnippen braucht, damit ich ihm zu Willen bin.“
Ach, dieser unbesonnene Junge! Vielleicht war es wirklich nicht allein der Fehler seiner Nichte, dass
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