Historical Weihnachten Band 6
wir haben hier doch genug Räumlichkeiten. Im Haus von Master Amery gab es nur wenig Dienerschaft, die kaum in der Lage war, ein junges Mädchen zu beschützen, schon gar nicht die Erbin aus einer guten Familie“, erklärte er.
„Ich verstehe“, sagte Benedick, obwohl er wirkte, als würde er überhaupt nichts verstehen. Sein Verhalten erschütterte Noel bis ins Mark – hatte sie sich doch so viel Mühe gegeben, diese kalte und wenig einladende Burg in ein schönes Zuhause zu verwandeln. Bemerkte dieser undankbare Schuft denn gar nicht, welche Verbesserungen sie hier eingeführt hatte?
„Ihr könnt doch unmöglich der Ansicht sein, dass Euch Euer Heim vor meiner Ankunft besser gefallen hat, Sir.“ Diese Spitze konnte sie sich einfach nicht verkneifen.
Er lächelte, obwohl kaum eine Bewegung seiner entschlossenen Lippen zu erkennen war. Er schien für all ihre Bemühungen nur Hohn und Spott übrigzuhaben. „Ich möchte Euch nicht beleidigen, mein Fräulein, aber alles, was ich will, ist etwas Ruhe und Erholung von meinen Anstrengungen. Ich habe nicht vor, die Verantwortung für einen Gast zu übernehmen.“
Noel riss entsetzt die Augen auf. Ein Gast? Während des vergangenen Jahres hatte sie Longstone mehr und mehr als ihr Zuhause betrachtet, nicht als einen zeitweiligen Unterschlupf, und sich selbst als Hausherrin, nicht als Eindringling gesehen. Und die ganze Zeit hatte sie geschuftet, um aus der Burg einen behaglichen und angenehmen Aufenthaltsort zu machen, nicht nur für Benedick, sondern auch für sich selbst. Schließlich war er ihr Vormund, wenn nicht sogar mehr …
Obwohl sie erst zwölf Jahre alt gewesen war, als sie ihren Vater begleitete, um den neuen Nachbarn willkommen zu heißen, war Noel ganz verzaubert gewesen von dem gut aussehenden, strammen Ritter. Es stimmte schon, er war eher abweisend und distanziert gewesen, doch in ihrem jugendlichen Eifer meinte sie, Geheimnisse in seinen dunklen Augen zu entdecken. Bald darauf war er aufgebrochen, um sich einen Namen zu machen, wie ihr Vater sagte, doch Noel konnte ihn nie wieder vergessen. Und keiner der Verehrer, die Vater danach ins Gespräch brachte, konnte ihm das Wasser reichen.
Da er von ihrer Vernarrtheit wusste und außerdem auf die Ehrenhaftigkeit des edlen Ritters vertraute, der so wacker kämpfte, hatte ihr treuer Vater sie seiner Güte überlassen. Und Noel war einfach überzeugt gewesen, dass Benedick bei seiner Rückkehr entzückt von dieser Hinterlassenschaft wäre. Diese Annahme war in ihren Augen so selbstverständlich, dann aber doch so falsch gewesen, dass ihr beinahe übel wurde.
„Aber ich habe Euch hier ein Heim geschaffen, wie Ihr unschwer erkennen könnt!“, erhob Noel Einspruch.
Benedick hob seine schwarzen Brauen. „Soviel ich weiß, besitzt Ihr selbst ein Zuhause, oder etwa nicht?“
Völlig verwirrt von dieser Feststellung wickelte Noel eine ihrer Locken um den Finger. Wie oft hatte sie von seiner Heimkehr geträumt! Doch die Wirklichkeit erwies sich nun als ein einziger Albtraum. „Außer einigen Dienern hält sich dort niemand mehr auf.“ Sie dachte an das kleine, einsam gelegene Haus, in dem in jeder Ecke Erinnerungen an ihren Vater lauerten. Es war traurig und leer. Sie schluckte schwer.
Benedick musterte sie mit versteinerter Miene, offensichtlich vollkommen ungerührt, während sie eine goldene Locke zwischen den Fingern hin und her zwirbelte. Langsam, aber unerbittlich wurde ihr klar, dass er sie tatsächlich fortschicken wollte, und diese Vorstellung entsetzte sie. Hatte sie sich in all den Jahren nur etwas vorgemacht? In den langen Monaten seit dem Tod ihres Vaters hatte sie sich daran festgehalten, dass ihr Ritter, ihr Benedick, bald zurückkehren würde – und nun zerschmetterte er all ihre Hoffnungen und Träume mit einem einzigen Schlag. Sie ließ die Locke los und streckte flehend beide Hände aus.
„Aber das Haus ist nicht bewacht. Ihr wollt mich doch sicher nicht dorthin zurückschicken, wo ich nur mir selbst überlassen bin?“, fragte sie, verzweifelt auf der Suche nach irgendeinem Grund, der diesen kaltherzigen Fremden umstimmen könnte.
Erneut spürte sie, wie seine Augen sie kalt musterten, und errötete wegen seiner Anmaßung. Er verhielt sich schlichtweg empörend, doch es wollte ihr einfach nicht gelingen, angemessen entrüstet zu reagieren. Stattdessen fühlte sie sich leicht berauscht, wie am Tag ihrer ersten Begegnung; eine seltsame Erregung flatterte in ihr auf, als würde
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