Historical Weihnachtsband 1990
mir nichts erzählt." Der Gesichtsausdruck ihres Arbeitgebers war hart und kalt.
Melinda schluckte. Vermutlich sähe er genauso aus, wenn er sie beschuldigen würde, eine Diebin zu sein. „Sie haben mich nicht gefragt. Ich habe angenommen, es sei nicht weiter wichtig für Sie."
Die Cowboys begannen, nach ihren Hüten zu greifen. Sie murmelten ein Dankeschön und schlurften zur Tür hinaus. Melinda fragte sich, ob ihr Gehen bedeutete, daß der Sturm vorüber war oder daß er erst begann. Lee stellte sich neben seine Mutter, und Melinda spürte in seiner angespannten Haltung sowohl Beschützerwillen als auch Furcht.
„Wenn ich gewußt hätte, daß Sie ein Kind haben, hätte ich Sie nicht eingestellt", erklärte MacKenzie.
Melinda fühlte sich gekränkt. „Lee ist ein guter Junge. Er wird weder Sie noch irgend jemanden sonst belästigen."
„Ich will keine Kinder in diesem Haus haben", erwiderte er.
Tränen stiegen in Melindas Augen. Sie war sich nicht sicher, ob sie von Zorn oder Schmerz hervorgerufen waren. Vielleicht von beidem. Trotz ihrer Anstrengung, sich zu beherrschen, zitterte ihre Stimme. „Dann verspreche ich Ihnen, daß Lee keinen Fuß mehr hineinsetzen wird. Mein Sohn und ich werden in meinem Haus essen."
Melinda wirbelte herum und eilte zur Tür, wobei sie Lee hinter sich herzog. Sie öffnete die Tür, doch MacKenzie stand plötzlich vor ihr und schlug die Tür wieder zu.
„Seien Sie kein größerer Dummkopf als unbedingt nötig. Ich verbanne Sie nicht in Ihr Haus."
Sie hob den Kopf und schaute Daniel direkt an. Von diesem Mann wollte sie sich nicht einschüchtern lassen. Schon gar nicht, wenn es um ihren Sohn ging. „Nein?
Was dann? Wollen Sie mir sagen, daß ich hier nicht länger arbeiten kann?"
Daniel MacKenzie musterte sie unwillig. Am liebsten hätte er ihr genau das mitgeteilt. „Keine Kinder" war eine Regel in diesem Haus, die nie gebrochen wurde.
Selbst Wills Kinder machten sorgsam einen Bogen um das Haupthaus. Die neue Köchin war Daniel jetzt schon ein Dorn im Auge. Er fühlte sich belogen und betrogen. Sie war jünger und ansehnlicher, als er gedacht hatte. Sie hatte ein Kind.
Und ihre Augen waren von einem klaren, weichen Grau und von dichten Wimpern umrahmt. Es waren wunderschöne Augen, auch wenn sie in dem schmalen Gesicht zu groß wirkten.
Er verzog den Mund, und einen Moment lang glaubte Melinda, daß er sie von der Ranch weisen würde. Doch er stieß nur einen Seufzer aus und wandte sich ab.
„Verflixt und zugenäht!" murmelte er dabei. Mit langen Schritten ging er zu der Tür, die ins Hausinnere führte, aber dann drehte er sich noch einmal um. „Nein, ich sage nicht, daß Sie hier nicht arbeiten können. Nach diesem Essen heute abend würden meine Männer wahrscheinlich rebellieren." Er würde es nie zugeben, doch selbst ihm, dem es gewöhnlich gleich war, was er aß, lief beim Gedanken an die nächste Mahlzeit das Wasser im Mund zusammen. „Sie können bleiben. Aber ich will ihn nicht im Weg haben. Ist das klar?"
„Völlig." Melinda hielt ihre Miene so kühl und überlegen, wie es nur ging. MacKenzie schaute sie kurz an, dann steckte er die Hände in die Taschen und verließ vor sich hinmurrend den Raum.
Lee wandte sich an seine Mutter. „Mama, was ist denn los mit ihm?" Er hatte die Augen weit aufgerissen.
„Ich habe nicht die geringste Ahnung, mein Junge", antwortete sie gereizt.
„Vielleicht ist er einfach gemein auf die Welt gekommen. Aber eins sage ich dir: Wir werden jeden Cent sparen, den ich verdiene, denn hier bleiben wir beide keinen Tag länger, als wir unbedingt müssen!"
★
Am nächsten Morgen stand Melinda früh auf. Es war noch dunkel, als sie ihr Häuschen verließ und durch den kalten Hof zum Haupthaus ging. Hier draußen wurde früh angefangen zu arbeiten, und wer das Frühstück zubereitete, mußte als erster aufsein.
Leise schlüpfte sie ins Haus und machte Feuer im Herd. Dann bereitete sie den Teig für die Brötchen und Kaffee zu. Während der Ofen heizte, ging sie zu ihrem Häuschen zurück, schüttelte Lee wach und trug ihm auf, in den Stall zu gehen und die Kuh zu melken, während sie die Eier einsammelte. Lee rieb sich verschlafen die Augen, nickte und kletterte gehorsam aus dem Bett.
Melinda ging zu dem halb verfallenen Hühnerstall. Dabei schwang sie den Korb, den sie aus der Küche mitgenommen hatte. Sie bückte sich, öffnete das Türchen und ging hinein. Drinnen hing nur noch schwach der Geruch eines Hühnerstalls.
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