Historical Weihnachtsband 1990
Nun verstand sie, woher die vielen Löcher und Kratzspuren in den Dielen rührten.
Alle Männer zogen den Hut und lächelten sie an, einige schüchtern, andere kühn.
Melinda erwiderte das Lächeln der schüchternen und warf den dreisten Männern einen kühlen Blick zu, der sie rasch zu Boden schauen ließ. Einige der acht Cowboys hatten Bärte oder Schnauzer, andere waren glattrasiert. Sie waren unterschiedlich groß und kräftig, hatten unterschiedliche Haar- und Augenfarben, doch alle waren abgehärtete Männer, die von der Sonne gebräunt und sich dadurch ähnlich waren.
Höflich stellten sie sich ihr vor, aber ihre Blicke wanderten immer wieder zum Tisch.
Melinda lächelte. „Setzen Sie sich ruhig. Möchte jemand Kaffee?"
„Ja, Madam." Sie befolgten ihren Vorschlag rasch und rauften sich um Plätze am Tisch.
Die meisten wollten eine Tasse Kaffee, und Melinda ging um den Tisch und schenkte den Kaffee aus der emaillierten Kanne ein, um deren Henkel sie einen kleinen Lappen gewickelt hatte, damit sie sich die Finger nicht verbrannte. Ohne Umstände bedienten sich die Männer aus den Schüsseln und häuften sich die Teller voll. Sie begannen zu essen, und rund um den Tisch ertönte ein Chor von: „Das ist aber wirklich lecker, Madam", und „verflixt gut gekocht, Madam".
Die Tür zum Hausinnern wurde geöffnet, und Mr. MacKenzie betrat die Küche. Die Cowboys unterbrachen das Essen kaum lang genug, um aufzuschauen und ihrem Arbeitgeber zuzunicken. MacKenzie sah zum Tisch hinüber, und Melinda glaubte einen Schimmer von Interesse in seinen Augen zu entdecken. Er setzte sich, spießte ein Stück Schinken auf und nahm sich von der Soße. Wie die anderen schnitt er zwei Brötchen auf und tunkte sie in die Soße, bevor er zu essen begann. Gespannt wartete Melinda darauf, daß er ihr, wie die anderen, ein Kompliment machte. Daniel sagte jedoch kein Wort.
Melinda ging zu seinem Platz. Fragend blickte er auf, und sie unterdrückte das Verlangen, ihm den Kaffee auf den Schoß zu schütten. Statt dessen lächelte sie steif.
„Kaffee, Mr. MacKenzie?" fragte sie.
„Natürlich." Er hielt ihr seine Tasse entgegen. Nachdem Melinda sie gefüllt hatte, fuhr er fort zu essen.
Melinda setzte die Kanne auf dem Tisch ab und ging zur Spüle. Sie stellte eine große Abwaschschüssel hinein, pumpte sie halb voll mit Wasser, fügte ein paar Seifenflocken hinzu und begann die Töpfe und Pfannen zu spülen, die sie beim Kochen benutzt hatte.
Noch bevor die Männer hereingekommen waren, hatte sie klugerweise zwei Teller voll Essen für sich selbst und Lee zur Seite gestellt. Sie würden essen, nachdem die Cowboys wieder fort waren. Man hatte sie nicht gebeten, sich zu ihnen zu gesellen, und es wäre ihr nicht in den Sinn gekommen, sich uneingeladen mit an einen Tisch voller Männer zu setzen.
Es dauerte nicht lang, bis die Viehtreiber gegessen hatten. Wie ein Heuschreckenschwarm über ein Weizenfeld hatten sie sich über das Essen hergemacht, und es gab einige Nachfragen, ob noch mehr Brötchen da wären.
Offensichtlich würde Melinda das nächste Mal mehr backen müssen. Die Cowboys lehnten sich zurück, plauderten miteinander und genossen ihre letzten paar Schlucke Kaffee.
„Leider hatte ich keine Zeit mehr, einen Nachtisch zuzubereiten", entschuldigte sich Melinda, während sie die Teller einzusammeln und zur Absteilfläche zu tragen begann.
„O Madam, das war prima", versicherte ihr Carl, und die anderen stimmten im Chor zu. Aus dem Augenwinkel heraus beobachtete Melinda ihren Arbeitgeber und stellte fest, daß er sich weiterhin in Schweigen hüllte. Wahrscheinlich warf er ihr im stillen vor, daß sie nicht auch noch einen feinen Apfelkuchen zustande gebracht hatte.
Einer der jüngeren Männer sprang auf und half ihr, den Tisch abzuräumen, und sie bedankte sich lächelnd bei ihm. Zwei andere standen rasch auf, um sie ebenfalls zu unterstützen. MacKenzie erhob sich.
★
In dem Augenblick wurde die Hoftür aufgerissen, und Lee kam hereingestolpert.
„Mama? Bekomme ich noch nichts zu essen? Ich bin halb verhungert."
Melinda hob eine Hand. „Ruhig, Lee. Und es heißt,,darf ich essen, bitte?" Laß mich vorher noch den Tisch abräumen."
„Sie haben einen Sohn?" MacKenzie sprach zwar leise, doch in seiner Stimme schwang ein Ton mit, der jegliche Bewegung und Unterhaltung im Raum unterbrach.
Melinda wandte sich um. Ihr wurde flau im Magen, und sie verkrampfte die Hände in ihrem Rock. „Ja."
„Davon haben Sie
Weitere Kostenlose Bücher