Historical Weihnachtsband 1990
müssen!"
wiederholte sie und sah, wie Betty und Eveline einen Blick wechselten.
„Natürlich wird sie darauf beharren. Nicht wahr?" Eveline wandte sich an Betty und streckte eine Hand aus. „Geben Sie mir die Schuhe ... So ist es recht. Nun gehen Sie bitte in mein Schlafzimmer und holen die Bernsteinkette aus der Schublade im Frisiertisch."
Dadurch wurde Mary, die hatte widersprechen wollen, abgelenkt. „Deine Bernsteinkette! Ach, Eveline, wie lieb von dir. Wie kann ich dir nur für alles danken, was du heute für mich getan hast?" fragte sie gerührt.
Eveline lächelte. „Warum willst du mir danken? Ich habe seit Jahren nicht mehr soviel Spaß gehabt wie heute."
„Spaß!" Mary stöhnte auf eine Art, die Eveline zum Lachen brachte.
„Jawohl, Spaß, und wenn ich fertig bin, wirst du dich nicht wiedererkennen. Sitz nur still und hör auf zu jammern, sonst brauchen wir den ganzen Abend. Dabei muß ich bis acht Uhr dreißig auch noch mit meiner eigenen Toilette fertig werden."
★
Punkt acht Uhr dreißig stand Jack Gates im Flur und beobachtete Mary, als sie die Treppe herunterkam. Ihr folgte Eveline, doch er sah niemanden außer Mary. Er war erstaunt und fühlte etwas, das er nicht hätte benennen können. Wie eine Fremde sah Mary aus, und doch war sie es, denn trotz all der Rüschen, des hauchzarten Gewebes und der Turnüre waren ihre braunen Augen dieselben. Ihr schüchterner Blick hatte ihn an jenem ersten Abend ans Herz gerührt, und rührte ihn nun erneut, als sie mit vor Unsicherheit zuckenden Lippen auf ihn zukam, bis er sie anlächelte.
Da leuchtete ihr Gesicht auf wie eine Blüte, die sich öffnete.
Ihr goldbraunes Seidenkleid war mit Samt besetzt und hatte dieselbe Farbe wie ihre Augen. Es betonte ihre schlanke Gestalt vorteilhaft, was die hauchzarten Gazeüberröcke, die in zwei ineinandergehende Stufen gefaßt waren, noch verstärkten. Nach hinten zu waren sie geschürzt, um den breiten Volant am Unterkleid zu zeigen, und endeten auf dem Rücken in einer Turnüre, die raschelte, als Mary die Treppe hinabstieg. Die eine behandschuhte Hand ließ sie auf dem Geländer ruhen, mit der anderen raffte sie die Röcke. Ihre Augen leuchteten dabei vor unverhohlener Glückseligkeit.
„Mary!" hatte Gray ausgerufen, als Jack ihm am Morgen davon erzählt hatte.
„Warum hast du gerade sie eingeladen? Und was ist mit Annabella? Was soll sie davon halten?" Doch dann hatte Gray die Lider zusammengekniffen und laut gelacht. „Jetzt begreife ich, du schlauer Fuchs. Du willst sie eifersüchtig machen, deshalb nimmst du Mary mit. Und deshalb hast du Annabella gestern am Teich im Stich gelassen. Erzählst Geschichten, von wegen du müßtest arbeiten. Ich wußte, das muß ein Scherz sein."
Gray hatte nur gelacht, als Jack widersprochen hatte, was ihn Schreckliches ahnen ließ. Doch angesichts von Marys leuchtenden Augen verschwand dieses Gefühl, und er verspürte wieder die Freude, die sie immer wieder in ihm hervorzurufen schien.
Wie gut er aussieht, dachte Mary, während sie die Treppe hinunter auf ihn zuging.
Wie sie ihn sich vorgestellt hatte, trug er einen Anzug aus feinem schwarzen Wollstoff. Die gestärkte weiße Hemdbrust hob das Blau seiner Augen hervor, und sein Haar war ordentlich zurückgekämmt, obwohl sich die rebellische Locke bereits wieder löste, um in die Stirn zu fallen. Kurz zuvor hatte Mary noch befürchtet, sie könnte auf der Treppe stolpern, doch nun schien sie zu schweben. Jack Gates lachte sie an. Für diesen einen Abend ging ihr Herzenswunsch in Erfüllung, und selbst wenn es kein Morgen gab, war sie dennoch der glücklichste Mensch auf der Welt.
Als sie die letzte Stufe erreichte, streckte Gates ihr die Hand entgegen.
„Miss Hillyer, Sie sehen bezaubernd aus", sagte er, als sich ihre Finger berührten. Er ließ ihre Hand nicht wieder los, sondern hob sie an die Lippen.
In einem berauschenden Augenblick erkannte Mary seine Absicht. Mit angehaltenem Atem erwartete sie die Berührung seiner Lippen auf der Haut, während ihr Herz so wild pochte, daß sie fürchtete, ohnmächtig zu werden.
Doch zu der Berührung kam es nicht.
Ein Krachen im Obergeschoß ließ Jack Gates aufhorchen. Man hörte das Trappeln von eiligen Füßen, und Gates hob den Blick zum Treppenabsatz, während Mary und Eveline sich umdrehten.
Mit feuerrotem Gesicht tauchte Betty am oberen Ende der Treppe auf.
„Ach je, Miss! Ach je!" Mit Tränen in den Augen schaute Betty von einem zum anderen.
Mary
Weitere Kostenlose Bücher