Historical Weihnachtsband 1990
brauchte nur eine Sekunde, bis sie sich gefaßt hatte, dann stürmte sie vorwärts.
„Grandfather!" rief sie aus, aber Betty schüttelte heftig den Kopf.
„Nein, Miss, mit Mr. Hillyers Gesundheit ist alles in Ordnung. Nur, von mir will er seine Medizin nicht nehmen. Er sagt. . . Ach herrje!" unterbrach sie sich, als ein weiteres Krachen durch den Flur tönte, dem eine dünne, zornbebende Stimme folgte.
„Schickt mir ein Dienstmädchen, damit es mich vergiftet, während sie sich davonzuschleichen versucht! Wo ist Mary? Wohin ist sie gegangen? Schickt sie mir sofort her!"
„Ach du meine Güte!" Betty rang die Hände und blickte hinter sich. Eveline hatte Mary eine Hand auf den Arm gelegt, doch Mary schüttelte sie ab.
„Es ist schon in Ordnung", sagte sie, indem sie erneut die Röcke raffte. „Vielleicht, nachdem er seine Medizin eingenommen hat. . ." Auf dem Weg die Treppe hinauf tätschelte sie Betty im Vorbeigehen den Arm.
Betty schaute ihr nach, bis sie um die Ecke verschwunden war.
„Arme Miss Hillyer", murmelte sie und strich eine Haarsträhne zurück, während sie die Treppe herunterkam. „So hat der alte Mann sich noch nie aufgeregt."
„Der alte Ziegenbock", bemerkte Eveline. „Es sieht ihm ähnlich, daß er ihr das antut.
Nachdem ich den ganzen Tag damit verbracht habe, sie schön zu machen."
Nur Jack Gates blieb stumm. Sein Blick verweilte immer noch auf der Stelle, an der Mary gestanden hatte, und in Gedanken erlebte er noch einmal den Augenblick, als er ihre Hand umfaßt hatte. Seine eigene Hand bebte. Er preßte sie an seine Seite und fragte sich, was geschehen war, das ihn so tief betroffen hatte. Seit er nach Boston gekommen war, hatte er Hunderte Frauen begleitet und sich über Hunderte Hände gebeugt, doch gezittert hatte er noch von keiner Berührung durch eine Frau.
Er kam sich vor, als hätte jemand ihm ins Gesicht geschlagen. Während er den verwaisten Treppenabsatz anstarrte, versuchte er zu begreifen, warum dieser Moment ein so besonderer gewesen war.
„Wir sollten langsam gehen", drängte Eveline. „Die anderen warten bestimmt schon auf uns. Vielleicht kann Mary Grandfather beruhigen . . . Betty, bitte bringen Sie unsere Mäntel!"
„Ja, Miss." Betty eilte davon, um den Auftrag zu erfüllen. Da hörten sie oben Seide rascheln, und Mary tauchte wieder auf dem Treppenabsatz auf.
„Mary, gerade rechtzeitig." Eveline winkte ihr, doch Mary schüttelte den Kopf.
„Ich muß bei ihm bleiben. Geht ihr ohne mich", sagte sie.
„Ich hab's gewußt!" rief Eveline aus. „Ich wußte, daß er dir das antun würde. Du hättest nicht hinaufgehen dürfen. Betty hätte sagen sollen, du wärst schon fort."
„Vielleicht wenn wir warten würden ..." Jack Gates machte einen Schritt auf Mary zu, doch sie brernste ihn mit einem Kopfschütteln.
„Das würde Sie nur aufhalten. Es kann eine Stunde dauern, bis er sich beruhigt hat.
Möglicherweise aber auch die ganze Nacht."
Gates wandte sich an Eveline. „Dann gehen Sie ohne mich. Ich bleibe bei Miss Hillyer. Später können wir vielleicht. . ."
„Nein." Mary klang verzweifelt. Sie spürte, wie Tränen in ihr aufstiegen. O bitte, laß ihn gehen, bevor ich mich nicht mehr beherrschen kann! flehte sie insgeheim. Es war hart genug, ihre einzige Gelegenheit zur Erfüllung eines märchenhaften Traums ungenutzt lassen zu müssen, ohne daß er sich in Grandfathers Gesellschaft quälte.
Obwohl sie innerlich gepeinigt war, brachte sie ein Lächeln zustande. „Nein, das ist nett von Ihnen, aber Sie müssen wirklich gehen."
„Das ist keine Freundlichkeit. . ." begann er. Da öffnete Gray die Haustür und ließ einen Schwall kalter Nachtluft herein.
„Hier sind wir!" rief er. „Und können es kaum erwarten, loszufahren. Wo sind eure Umhänge, die Damen? Jack, hast du einen Geist gesehen? Nanu, ist das Mary? Du siehst ja richtig entzückend aus. Ach, da ist ja Betty", fügte er hinzu, als das Mädchen mit den Mänteln erschien. „Nun, rasch hineingeschlüpft! Wir halten alle auf." Er warf Jack seinen Mantel zu und half dann Eveline in ihren Umhang.
„Mary kann nicht mitkommen", sagte Eveline, während sie hineinschlüpfte.
„Grandfather hat gemerkt, daß sie fort will und hat einen Tobsuchtsanfall bekommen."
„Oh, das ist aber schade", meinte Gray. „Na, vielleicht das nächstemal. Wir müssen jetzt wirklich gehen. Um neun Uhr sollen wir uns mit den anderen treffen." Er nahm Eveline am Arm und zog sie zur Tür. Gates schaute immer
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