Historical Weihnachtsband 1990
wirklich, das geht nicht", lehnte sie gewohnheitsmäßig ab. „Wer kümmert sich dann um Grandfather? Die Nächte sind oft sehr hart für ihn."
„Warum nicht Ihre Mutter?" schlug er vor.
Mary mußte unwillkürlich lächeln. Und da Jack Gates erkannte, wie albern diese Idee war, lächelte er ebenfalls.
Dennoch beharrte er. „Warum dann nicht eines der Dienstmädchen? Jemand muß sich doch auch um ihn kümmern, wenn Sie etwas anderes zu erledigen haben", stellte er fest. „Sagen Sie", fügte er nach einer Pause hinzu, „wie lange ist Ihre letzte Schlittenfahrt her?"
Diese Frage bedauerte er, kaum daß er sie ausgesprochen hatte, denn Marys Gesicht nahm einen traurigen Ausdruck an. Es mußte hart genug für sie sein, ihr Leben anzunehmen, ohne daß ein vorübergehender Fremder sie mit der Nase darauf stieß.
„Es tut mir leid", sagte er schnell. „Ich möchte nur so gern, daß Sie mitkommen."
Da schaute sie auf und suchte in seinen Zügen nach dem erwarteten Mitleid. Sie fand jedoch nur Verständnis und eigenartigerweise Erwartung. Das verstand Mary nicht. Weshalb wollte er mit ihr ausgehen, wenn er doch jede junge Frau in der Stadt haben konnte? Es war ein Traum, ein Wunder, ein erfundenes Weihnachtsmärchen. Und trotzdem schien es wahr zu werden.
„Bitte, kommen Sie mit!" drängte er.
„Also gut." Sie nickte und fragte sich, wie sie von Grandfather freikommen sollte.
„Dann ist es beschlossene Sache", bekräftigte Gates. „Versprechen Sie mir nur, daß Sie Ihre Meinung nicht ändern werden. Versprechen Sie, mitzukommen, alles andere kommt dann schon ins Lot."
„Ich verspreche es", flüsterte Mary und fragte sich, ob nicht die ganze Welt ihre Glückseligkeit bemerken mußte.
4. KAPITEL
„Nicht das blaue. Nein, bestimmt nicht. Es ist altmodisch, und die Farbe macht mich blaß."
Eveline, die sonst so unentschlossen war, ging die Kleider in Marys Schrank durch.
Dabei war sie sich der Gegenwart Marys, die geduldig wartete, kaum bewußt. Ihr Haar war mit Stoffstreifen hochgebunden, wodurch es sich, laut Eveline, stärker locken sollte.
„Bliebe also das hellbraune", schloß Eveline und zog das Kleid hervor. „Du meine Güte, ich begreife nicht, wie du mit nur zwei Abendkleidern auskommen kannst.
Dabei hast du dir das blaue schon genäht, als Florence geheiratet hat, und das war vor fast vier Jahren."
„Ich gehe nicht so oft aus", erinnerte Mary ihre Schwester.
„Das stimmt", bestätigte Eveline, während sie, immer noch nicht ganz zufrieden, das zweite Kleid musterte. „Wie schade, daß du größer bist als ich, sonst hätte ich dir eines von meinen geliehen. Vielleicht könnten wir Mrs. Lindstrom rufen, damit sie den Saum herausläßt. Zeit haben wir ja noch."
Doch Mary schüttelte den Kopf.
„Der Vorschlag ist lieb von dir, aber ich glaube nicht, daß ich in einem von deinen Kleidern gut aussehen würde", sagte sie.
Darüber dachte Eveline kurz nach und akzeptierte es dann mit einem Nicken. „Ja, ich verstehe. Nun, dies hier geht vielleicht. Mir gefällt die Farbe zwar nicht, aber ich denke, sie steht dir. Mit dem richtigen Schmuck . . ." Sie hielt das Kleid von sich ab und hob den Gazeüberwurf von der darunterliegenden honigfarbenen Seide.
Auch Mary betrachtete das Kleid. „Eveline", wagte sie zu widersprechen, „glaubst du nicht, daß ein Ballkleid zu fein ist für eine Schlittenfahrt? Genügt nicht ein Abendkleid oder sogar ein Straßenkleid?"
In Evelines Blick mischten sich Mitleid und Zuneigung. „Natürlich ist es zu fein für eine Schlittenfahrt. Aber die anderen werden Ballkleider tragen, also mußt du es auch tun. Ich ziehe mein dunkelgrünes an, und Annabella Woodcross wird ihr pfirsichfarbenes Seidenes mit den Kameen ihrer Großmutter tragen. Wenn du im Tageskleid erscheinst, wird Annabella dich auslachen."
„Was Annabella denkt, ist doch sicherlich gleich. Und woher weißt du überhaupt, was sie anziehen wird? Ich hatte immer den Eindruck, daß ihr beide euch nicht besonders mögt."
„Das tun wir auch nicht." Eveline lächelte insgeheim bei der Vorstellung von Annabellas Gesicht, wenn Jack Gates an der Seite von Mary erschien. „Annabella hat es Sarah Harris erzählt, und die hat es mir berichtet. Sarah ist überzeugt, daß Justin mir heute abend einen Antrag macht."
„Wirst du annehmen, falls er es tut?" fragte Mary.
„Wahrscheinlich. Ich weiß nicht. Das hängt davon ab, wie ich mich in dem Moment fühle."
„Das erscheint mir eine seltsame Art, mit
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