Historical Weihnachtsband 1990
goldenen ovalen Anhänger hoch. Eveline klatschte in die Hände.
„Ja, ja. Nun rasch. Wo ist das dazugehörige Band? Schau, was ich vor lauter Aufregung mit meinem Haar gemacht habe." Sie griff nach den sorgfältig frisierten Locken, erstarrte aber plötzlich. „Klopft da jemand an die Tür? Vielleicht ist es Justin.
Warum macht Emily denn nicht auf?"
„Weil heute ihr freier Abend ist, und Betty ist bei ihrer Mutter, die mit einer Halsentzündung im Bett liegt." Mit einem Seufzer fädelte Mary das Medaillon an das Band, ehe Eveline es ihr aus der Hand riß und sie zur Tür hinschob.
„Dann mußt du hinuntergehen. Sag ihm, ich bin gleich fertig, ich muß mich nur noch kämmen. Und beeile dich, sonst glaubt er, daß ich schon fort bin", drängte Eveline.
„Ja, gut", sagte Mary und lief zur Treppe. Doch die Ohren von Isaiah Hillyer waren ausgezeichnet, auch wenn seine Beine ihn nicht mehr trugen.
„Heda! Ist das Mary, die sich davonzuschleichen versucht?" rief er. „Wahrscheinlich will sie irgendeinen Burschen treffen und mich hier allein sterben lassen. Wenn es nicht wegen meines Geldes wäre, hättet ihr mich schon lange verlassen. Glaubt nur ja nicht, daß ich nicht weiß, was euch zurückhält."
„Du liebe Zeit", murmelte Mary, während sie die Röcke raffte, um die Treppe hinunterzuhasten. Wenn Grandfather nur mit einer Spur Toleranz geboren worden wäre, oder wenn Mutter nur so viel Interesse für die Lebenden hätte wie für die Toten . . . Wenn nur, wenn nur ... Zermürbt und aufgewühlt durchquerte sie den Flur, als das Klopfen heftig wiederholt wurde. Mary drehte den Schlüssel und öffnete die Tür mit einer Hand, während sie sich mit der anderen an die Schläfe faßte, die zu pochen begann.
Und so sah Jack Gates sie zum erstenmal - eine schlanke braunhaarige Frau in einem malvenfarbenen kleinen Abendkleid. Sie hielt sich mit einer Hand die Stirn und war sichtlich bekümmert. Unwillkürlich tat er einen Schritt auf sie zu, um ihr Hilfe anzubieten. Doch sie wich zurück, wobei sie die Hand auf die Brust sinken ließ und die Augen aufriß, als wäre sie fürchterlich erschrocken.
Braune Augen, stellte Jack fest, während er sie ansah. Augen von der gleichen Farbe wie frischgepflügte Felder, nachdem die Sonne sie durchgewärmt hat. Einen Wimpernschlag lang glaubte er die Wärme der Sonne zu spüren, und der Duft von Erde, die sich zwischen bloßen Zehen ganz weich anfühlte, schien ihm in die Nase zu steigen.
Solche Freuden hatte er als Junge auf der Farm seiner Familie in Wisconsin gekannt, in den glücklichen Jahren, bevor sein Vater krank geworden war. Und selbst danach noch, während seiner vergeblichen Anstrengungen, die Farm zu halten, hatte es noch Augenblicke gegeben, in denen er seine Arbeit unterbrochen und aufgeschaut hatte, um die Schönheit seiner Umgebung in sich aufzunehmen. Ja, hatte er in solchen Momenten gedacht. Ja, das ist es wert. Diese Schönheit zu bewahren, ist jedes Opfer wert.
Wie eigenartig, daß er nun, nach so vielen Jahren und Veränderungen, daran dachte, während er auf einer verschneiten Veranda stand und Mary ansah.
Tatsächlich unterschied sich diese Villa in Neuengland etwa so sehr von der alten Farm der Gates', wie sich der erfolgreiche Anwalt, der er geworden war, von jenem Bauernjungen unterschied. Jack schüttelte den Kopf, um seine Gedanken zu ordnen. Diese scharfe Bewegung schien den Zauber zu brechen, der ihn und die junge Frau umfangen gehalten hatte.
Sie blinzelte, als erwachte sie aus einem Traum, und wandte den Blick dem jungen Mann an Jacks Seite zu. Jack bemerkte, wie ihre braunen Augen zu blitzen begannen, als sich der Schreck in Entzücken verwandelte.
„Gray!" rief Mary immer noch halb benommen aus. Doch ihr älterer Bruder ließ ihr keine Zeit zur Besinnung, denn er umfing sie in einer freudigen Umarmung. „Aber Gray", sagte sie, während er sie herum wirbelte, „du hast doch geschrieben, daß du nicht vor Heiligabend kommen kannst."
„Das hatten wir auch gedacht", stimmte Gray Hillyer fröhlich lächelnd zu. „Und einen hübschen Bonus haben wir auch bekommen."
Gray war zwei Jahre älter als Mary und der einzige Sohn unter den fünf Kindern der Hillyers. Er teilte Evelines blondes Haar und gutes Aussehen, ebenso wie ihr gebieterisches Wesen. An diesem Abend war er allerdings großzügig, und er ließ Mary los, um zu erklären: „Meine liebe Schwester, du siehst die beiden hellsten aufgehenden Sterne am Himmel der Bostoner
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