Historical Weihnachtsband 1990
haben, wie seine Cowboys Melindas Hab und Gut hineintrugen.
Dennoch kam er nicht vorbei, um seine neue Haushälterin zu begrüßen und auf seiner Ranch willkommen zu heißen, sondern ging geradewegs zu seinem Haus weiter.
Ungehobelt. Melinda verzog den Mund. Es war offensichtlich, daß er ihr nicht einmal normale Höflichkeit entgegenbringen wollte. Sie glaubte die Geschichten, die sie über seinen Frauenhaß gehört hatte. Jedenfalls schien er sie auf den ersten Blick verabscheut zu haben. Aus irgendeinem Grund festigte dieser Gedanke ihren Entschluß, hervorragende Arbeit für ihn zu leisten, um ihm zu zeigen, wie sehr er sich geirrt hatte.
Nachdem Melinda ihre Sachen geordnet hatte, verließ sie das Häuschen und ging quer über den Hof zum Hintereingang des großen Hauses. Sie hatte genug Arbeit in ihrem eigenen neuen Heim und war sicher, Mr. MacKenzie würde nicht von ihr erwarten, daß sie noch heute nachmittag zu kochen anfing. Doch wollte sie einen Blick in die Küche werfen, die sie benutzen sollte. Am nächsten Morgen würde sie in aller Frühe das Frühstück zubereiten, und dann wollte sie bereits wissen, wo sich alles befand.
Melinda klopfte an die Tür. Da sie keine Antwort erhielt, drehte sie den Türknauf und trat ein. Wie erstarrt blieb sie stehen. Dann schaute sie sich ungläubig um. Die Küche war groß, wie es sich für ein solches Haus gehörte, und verfügte über einen riesigen gußeisernen Herd. Aber der Raum befand sich in einem Zustand, den kein sich selbst achtender Koch ertragen würde. Alles war verstaubt, die Arbeitsflächen, der Tisch und sogar der Herd. Dieser war obendrein fettverschmiert und mit Flecken und schwarzen Klumpen übersät.
Melinda öffnete die niedrigen Schränke und fand Töpfe und Pfannen, von denen die meisten staubig waren und mehrere nicht richtig gesäubert schienen.
Sie öffnete die Speisekammer. Der Mehlsack war fast leer, und im Zuckersack wimmelte es vor Ameisen. Weder Maismehl noch Backpulver konnte sie finden.
Auch eingemachtes Gemüse suchte Melinda vergebens. Die Kartoffeln waren so alt, daß Keime daraus hervorwuchsen, und der fast leere Krug mit Zuckersirup war außen klebrig, der Honig dick kristallisiert.
Entsetzt verließ Melinda die Vorratskammer, stützte die Hände in die Hüften und stand wie betäubt da. Sie mochte nicht glauben, daß dies die Küche eines reichen, bedeutenden Ranchers sein sollte. Armes Gesindel hätte keine solche Speisekammer. Wie hatten Küche und Vorratskammer nur in einen solchen Zustand geraten können?
Auf dem Gang waren Schritte zu hören, und ein Mann betrat die Küche. Melinda fuhr der zweite Schreck an diesem Nachmittag in die Glieder. Der Mann war MacKenzie. Sie erkannte die Jacke. Doch er hatte seinen Hut abgesetzt, und sie sah die scharfen Linien seines Gesichts, das auf eine rauhe Art äußerst anziehend war.
Seine blauen Augen hoben sich erstaunlich hell und strahlend von der gebräunten Haut ab. Und sie entdeckte, daß „Ol'" Daniel MacKenzie gar nicht alt war!
„Aber Sie sind ja überhaupt nicht alt!" entfuhr es Melinda. Dann schlug sie peinlich berührt die Hand vor den Mund. Gewöhnlich plapperte sie nicht den ersten Gedanken aus, der ihr in den Sinn kam. Doch MacKenzies Erscheinung hatte sie so durcheinandergebracht, daß sie ihre sonstige Höflichkeit vergaß. Nach dem Gerede, das sie über ihn gehört hatte, war sie davon ausgegangen, daß Daniel MacKenzie seine besten Jahre hinter sich hatte.
Doch er war ganz sicher im besten Mannesalter. Sein Haar war dicht und schwarz, ebenso wie sein Bart. In beidem befand sich nur eine Spur von Grau. Seine Züge waren zwar zerfurcht und wettergegerbt, doch war das bei Menschen, die ihr Leben überwiegend im Freien verbrachten, häufig der Fall. MacKenzie schien nicht älter als vierzig zu sein, wenn er überhaupt schon so alt war. Melinda kam zu dem Schluß, daß sie Mrs. Grissom hätte fragen sollen, statt sein Alter einfach anzunehmen.
Schließlich war sie Texanerin und wußte, daß „Ol'" ein gebräuchlicher Beiname war, der nicht unbedingt etwas mit dem Alter zu tun hatte.
MacKenzie zog die Augenbrauen hoch. „Tatsächlich?" Seine Stimme klang rauh, beinah rostig, als würde er sie nicht oft benutzen. „Soll ich das als Kompliment verstehen oder als Beleidigung?"
Melindas Wangen glühten vor Scham. „Es tut mir leid. Ich hatte nur, nun . . ." Ihr fiel nichts ein, das die Situation nicht noch verschlimmert hätte. „Es tut mir leid",
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