Historical Weihnachtsband 1991
Matthew kann sehr heftig werden, wenn er sich aufregt..."
„Welcher Mensch tut das nicht, solange er nur einen Funken Temperament im Leibe hat? Selbst Mr. Hart und ich streiten manchmal. Jeder Mensch, der zu echter Leidenschaft fähig ist, reagiert heftig." Angelica hielt mitten im Häkeln inne. Sie konnte sich Mr. Hart nun einmal nicht als leidenschaftlichen Ehemann vorstellen.
„Sie müssen das Vergangene vergangen sein lassen, Mrs. Hamilton. Fünf Jahre sind lang genug, um einen Mann für einen Temperamentsausbruch zu bestrafen."
„Es ist nicht nur das. Ich hatte danach einen anderen geheiratet. Jetzt kann ich nicht einfach so tun, als wäre seit jenem verhängnisvollen Streit nichts geschehen."
„Natürlich können Sie das nicht, und Sie sollen es auch nicht. Aber Sie dürfen nicht vergessen, daß Sie eine verwitwete Frau sind und kein junges Mädchen, das rot wird, sobald es einen Mann nur ansieht. Sie haben mehr als einen Grund, die Sache mit diesem Matthew wieder ins Lot zu bringen." Blanche richtete sich auf und fuhr fort: „Ich weiß, ich bin nicht mehr taufrisch, aber selbst ich sah, was ich an Mr. Hart hatte, und so wartete ich eben, bis ihm das auch dämmerte."
„Aber warum haben Sie so lange zugesehen, ohne ihn aufzugeben und einen anderen Mann zu heiraten?"
Blanche Hart nickte entschieden. „Das ist es eben, ich liebe ihn. So einfach ist das.
Wenn Sie einen Menschen lieben, spielen Jahre keine Rolle."
Sie stand auf und strich Angelica behutsam über die Haare. „Denken Sie ein wenig über das nach, was ich Ihnen gesagt habe, und überlegen Sie es, als wäre ich Ihre Mutter. Denn genauso habe ich es gemeint. Geben Sie dem armen Jungen eine zweite Chance. Sonst werden Sie es eines Tages bitter bereuen." Damit ging sie hinaus.
Angelica legte die Handarbeit beiseite und trat ans Fenster. Draußen fielen die Schneeflocken, und die kalte Luft staute sich an den Scheiben. Auf der anderen Seite der Straße spielten Kinder im frischen Schnee. Ihr fröhliches Lachen und Rufen drang herüber. Angelica sah ihnen zu. Ihr Atem trübte das Glas.
Blanche Hart hatte recht. Den Hauptstrom des Lebens ließ Angelica Hamilton an sich vorbeirinnen. Und eines Tages würde sie, wie heute Blanche, zu alt sein, um eigene Kinder zu haben. Wollte sie wirklich nichts anderes in der Zukunft als hier dieses Haus mit Bewohnern, die kamen und gingen und auszogen, heirateten oder starben? War es das wert, dafür Matthew Thornton auszuschlagen?
Sie trat vom Fenster zurück. Was fiel ihr ein? Woher nahm sie die Gewißheit, daß er sich überhaupt noch etwas aus ihr machte? Die meiste Zeit benahm er sich, als ertrüge er Angelicas Gegenwart eben so. Dann aber wieder sah er sie so an, daß Erregung in ihr aufstieg, so stark, so drängend, wie es vorher keinem Mann gelungen war. Wollte sie wirklich noch einmal heiraten? Obwohl sie länger Witwe als Ehefrau gewesen war, waren die bitteren Erinnerungen immer noch lebhaft und gegenwärtig. Lang vor seinem Tode hatte sie Philip Hamilton bereits verabscheut, und die ganze Ehe war nicht dazu angetan gewesen, Angelica eine zweite schmackhaft zu machen.
Bei Matthew dagegen erfuhr sie das Erwachen von Leidenschaften, die Philip niemals in ihr erregt hatte. Auch jetzt sehnte sie sich schmerzlich danach, in Matthews Armen zu liegen und seine Küsse zu erwidern. Vielleicht würde die Liebe mit ihm auch körperliche Befriedigung, Glück und Erfüllung bedeuten? Mußte es nicht mit dem richtigen Mann so sein? Und war nicht Matthew dieser richtige?
Sie mußte unbedingt herausfinden, ob es für sie und ihre Liebe wirklich jene zweite Chance gab, von der er gesprochen hatte. Hastig verstaute sie die Häkelarbeit in dem Handarbeitskorb. Sie würde damit bei Phoebe vorbeigehen und so tun, als wäre das ganz natürlich. Außerdem mußte die Stola, eine Arbeit auf Kommission, fertig werden, sonst gäbe es Weihnachten keinen Schinken auf dem Tisch.
Angelica Hamilton eilte durch die verschneiten Straßen zum Hause der Addams.
Immer noch fielen die Flocken und ließen Alleen und Gassen leuchtend weiß erscheinen, obwohl sonst der Ruß aus Schornsteinen und Essen schnell genug die reine Schneedecke in schwärzlichgrauen Matsch zu verwandeln pflegte.
Jetzt sah alles aus wie auf jenen Weihnachtskarten, die man Freunden schickte.
Kinder jagten mit strahlenden Augen und glühenden Wangen hintereinander her.
Selbst ältere Menschen machten einen gelösten und heiteren Eindruck im Vorübergehen,
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