Historical Weihnachtsband 1991
für wünschenswert angeschaut hat. Mein Landsitz ist riesengroß. Natürlich werde ich nie verkaufen. Aber heute möchte ich nicht mehr in einem Haus wohnen, in dem der Wind so durch die Ritzen pfeift, daß die Zugluft die Vorhänge halb ins Zimmer weht, und die Schornsteine so schlecht ziehen, daß jeder Kamin mehr Rauch als Flammen liefert."
„Ist es nicht schade, einen solchen Besitz ungenutzt zu lassen?" fragte Angelica.
„Irgendwann werde ich ihn einem meiner Söhne oder Enkel überschreiben. Bis dahin mag er soweit gealtert sein, daß er malerisch ist und man die Unannehmlichkeiten vergißt."
Angelica nahm ihre Handarbeit auf und begann zu häkeln. Für gewöhnlich pflegten Junggesellen keine Pläne für ihre noch nicht geborenen Kinder zu schmieden, wenigstens nicht, solange diese Herren nicht daran dachten zu heiraten.
„Zu einer Ehe gehören bekanntlich zwei. Haben Sie schon jemanden im Sinn?"
„Ja."
Sie wartete, doch Matthew tat ihr den Gefallen nicht, weiterzusprechen. Der bloße Gedanke, Thornton könne sich für eine andere Frau interessieren, verursachte Angelica körperlichen Schmerz. Nach dem Theaterbesuch hatte es ausgesehen, als läge sie ihm immer noch im Sinn. Doch wenn sie nun zurückdachte, mußte sie sich eingestehen, daß Matthew nur Geoffrey zitiert hatte. Hatte Angelica vielleicht mehr in die Worte hineingedeutet, als Matthew wirklich gemeint hatte?
„Das ist eine hübsche Stola", stellte Phoebe fest. „Für wen ist sie bestimmt?"
„Ein Kunde von Mrs. Pye hat sie für seine Tochter bestellt."
„Bestellt?" fragte Matthew dazwischen.
„Ich verkaufe manchmal meine Handarbeiten, das heißt, Mrs. Pye nimmt sie in Kommission für ihr Geschäft." Angelicas Stimme klang etwas schrill. Die Tatsache, eben zugegeben zu haben, daß sie für Fremde handarbeitete, störte sie. „Ich kann nicht untätig herumsitzen."
Phoebe lachte leise auf. Matthew schwieg.
„Kannst du dich noch erinnern, wie Großmama immer behauptete, Müßiggang sei aller Laster Anfang, und dabei mich strafend ansah?"
Angelica lächelte. Gegenwärtig konnte wohl keiner behaupten, daß Phoebe zum Nichtstun neigte. Trotz der Köchin, des Hausmädchens und der Kinderfrau gab es für Phoebe Addams genug zu tun, das ihre Tage füllen mochte. Die allgemeine Unterhaltung nahm andere Bahnen, und Angelica ließ ihre Gedanken bei Matthew Thornton verweilen.
Philip Hamilton hätte nie zum Familienvater getaugt. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie er mit einem Kind eine Wunschliste aufstellte oder ein Weihnachtslied anstimmte wie vorhin Matthew. Der dagegen schien in diese Idylle hineingeboren, nicht weniger als Geoffrey.
Die Stimme des Schwagers holte Angelica aus ihrer Versonnenheit, als er eben fragte: „Wann mußt du abreisen, Matthew?"
„Gleich am Tag nach Weihnachten. Dann wird es noch eine Weile dauern, bis der Hauskauf abgeschlossen ist. Ich muß entscheiden, was hierher mitkommt, was in York bleibt. Und wenn das Wetter auch weiterhin so unwirtlich ist, werde ich wohl kaum vor dem Frühling wieder in der Stadt sein können."
Die Häkelnadel zitterte in Angelicas Hand. Frühling? Bis dahin würden noch Monate vergehen.
„Dann haben wir dich aber wieder", sagte Phoebe.
„Alles hängt größtenteils davon ab, wie die nächste Woche verläuft. Es hat da eine Schwierigkeit gegeben. Eine Sache, die
mir ungemein am Herzen liegt, entwickelt sich nicht ganz so, wie ich dachte. Und eigentlich bin ich nur gekommen, um sie zu regeln."
Angelica hörte Phoebes Entgegnung nicht mehr. In der Aufregung hatte sie einen Fehler beim Häkeln gemacht und mußte etwas auftrennen. Wenn Matthew unter Umständen überhaupt nicht nach London übersiedelte? Phoebe und Geoffrey konnten ihn in York besuchen, aber für sie würde sich das natürlich niemals schicken. Und dann konnte es wieder fünf Jahre oder noch länger dauern, bis sie ihn wiedersah. Wenn sie nur nicht so unentschlossen, so unsicher gewesen wäre, ob sie ihn ermutigen sollte. Vielleicht hatte er auch längst eine andere Frau im Sinn?
„Ich muß gehen", sagte Angelica. „Es schneit immer noch, und das macht die Wege glatt."
„Schon? Du bist doch erst gekommen", widersprach Phoebe.
„Du bleibst natürlich zum Abendessen, und dann fahrst du mit dem Schlitten nach Hause", meinte Geoffrey.
Angelica schüttelte den Kopf.
„Wenn Sie aufbrechen müssen, begleite ich Sie", sagte Matthew.
„Es ist viel zu kalt. Ich bin es gewöhnt, allein zu gehen."
„Ich
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