Historical Weihnachtsband 1991
vorne anfangen. Was inzwischen geschehen ist, läßt sich nicht mehr rückgängig machen. Ich bin nicht mehr dieselbe, die ich vor fünf Jahren war. Und auch Sie haben sich verändert."
„Soll das heißen, daß Sie mich nicht mehr sehen möchten?" Er wandte sich ihr zu.
„Wollen Sie wirklich das damit sagen?"
„Ich weiß es nicht", flüsterte sie. „Ich weiß es nicht. Sie verwirren mich so. Mag Ihnen mein Leben auch langweilig erscheinen, so ist es doch mein Leben."
„Ich kann mir nicht vorstellen, daß irgend etwas im Zusammenhang mit Ihnen langweilig sein könnte."
„Ich habe Verpflichtungen. Es gibt Menschen, die mich brauchen."
„Das ließe sich alles einrichten."
Angelica wich zurück. Ihre Worte kamen ganz leise. Sie war selbst nicht sicher, ob Matthew sie überhaupt gehört hatte, und wollte sie doch nicht wiederholen. Die Wahrheit dahinter war zu schmerzhaft.
„Ich habe Angst", gestand sie.
„Aber doch nicht vor mir?" fragte er nach einer Weile.
Sie konnte nicht antworten, weil sie keine Antwort wußte. Statt dessen wich sie noch weiter vor ihm zurück. In den zwei Jahren ihrer gescheiterten Ehe hatte sie die bittere Erfahrung gemacht, daß man Männern, ganz besonders Ehemännern, nicht vertrauen konnte. Man hatte Sanftheit verhöhnt, Verletzlichkeiten lächerlich gemacht und jeden Wunsch einfach ignoriert. All das war das Verhalten eines Gatten gewesen, der als Verehrer und Bräutigam bezaubernd und zärtlich gewesen war. Wenn Philip Hamilton ihr
so übel mitgespielt hatte, was konnte sie von Matthew Thornton erwarten?
Matthew war temperamentvoll, neigte zum Jähzorn. Angelica fürchtete, auch in seinem Wesen mochte es eine dunkle Seite geben, von der keiner wissen konnte, wie sie sich einer Ehefrau gegenüber äußern würde.
So schüttelte sie nur den Kopf, drehte sich um und flüchtete ins Haus.
★
Drinnen lehnte sich Angelica gegen die Tür und versuchte, der aufsteigenden verworrenen Ängste Herr zu werden. Durch den kleinen Korridor hörte sie Gelächter und Fetzen eines Gespräches aus dem Salon. Ihre Pensionsgäste! Diese Menschen brauchten sie. Mochte man in Angelica Hamiltons Leben nie höchste Ekstase erfahren, so war es doch sicher und geschützt vor tiefster Verzweiflung. Dieser Weg lag klar und gerade vor ihr, ihn hatte sie freiwillig gewählt, ihn würde sie auch weiterhin gehen.
Freilich sehnte sie sich im Innersten nach Matthew Thornton und der Liebe, die sie beide einmal verbunden hatte.
Um die düsteren Gedanken schnell zu verscheuchen, zog Angelica hastig den Mantel aus und beeilte sich, in den Salon zu kommen. Dort waren sie alle versammelt, sogar Peggy fehlte nicht. Zenobia Neville zeigte dem schüchternen jungen Ding, wie man Bänder auf einen Hut heftete, und Peggy war mit wahrem Feuereifer bei der Sache.
Quinton Keyes und Ida Lunt konnten sich immer noch nicht einigen, wie man Cecilias Erkältung auskurieren sollte, und trieben das Mädchen damit zur Verzweiflung. Mr. Hart erzählte dabei seiner andächtig lauschenden Ehehälfte und jedem, der sonst noch zuhören mochte, von seinen Abenteuern als junger Mann.
Blanche nickte und lächelte, wenn es die Gelegenheit dazu gab, und stickte eifrig an einem Kissenbezug.
Angelica fühlte Rührung in sich aufsteigen. Mochte es auch noch nicht feststehen, woher das Weihnachtsessen kommen und
wie es beschaffen sein mochte, so war es sicher, daß Angelica es fertigbringen würde, in diesem kleinen Kreis der widersprüchlichsten Menschen Weihnachtsstimmung, Freude und Wärme zu verbreiten. Und auch das war eine Form von Glück.
Zenobia bemerkte die eintretende junge Frau zuerst und fragte: „Wie war das Theaterstück? Hat es Ihnen gefallen?"
„Ja, ja doch. Es war sehr schön."
„Wir hatten gehofft, Sie würden Ihren Freund mitbringen, damit wir ihn auch kennenlernen", sagte Mrs. Hart und zog den Faden durch den Stoff.
„Er ist ein alter Freund, ich meine, ein Freund meiner Schwester und meines Schwagers."
„Mir hat ein kleines Vöglein zugepiepst, er sei auch eine alte Liebe", scherzte Mr.
Hart jovial. „Selbst aus der Asche entflammt sich neues Feuer."
„Mr. Hart, du sollst Mrs. Hamilton nicht necken", schalt seine Frau liebevoll. „Wenn sie nicht über Mr. Thornton reden will, ist das ihre Sache, und wir sollten nicht an ihr Geheimnis rühren."
„Das muß freilich ein recht schwatzhaftes Vögelchen gewesen sein", bemerkte Angelica und runzelte die Stirn. Dabei schickte sie einen Seitenblick zu
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