Historical Weihnachtsband 1991
und fragen sie, wie sie zu Ihnen steht?"
„Ich habe Gründe anzunehmen, daß ein solch direktes Vorgehen sie abschrecken und verstören könnte. Ich darf kein Risiko eingehen."
Angelica wußte nicht, wie sie sich verhalten sollte. Erst hatte sie selbst dieses heikle Thema angeschnitten. Doch nun, da Matthew sich ihr anvertraut hatte, blieb nur ein einziger halbwegs vertretbarer Ausweg aus diesem Dilemma. Sie atmete einmal tief durch und platzte dann heraus, während sie den Kopf abwandte, damit Matthew die Tränen nicht sah, die ihr in die Augen stiegen. „Vielleicht sollte ich einmal mit ihr sprechen?"
„Sie?"
„Wie gesagt, Sie sind ein alter Freund der Familie, und ich möchte Sie glücklich sehen, ob Sie mir das nun glauben oder nicht."
„Sie würden mit ihr sprechen?" Das klang überrascht. „Über mich?"
„Warum nicht? Ich bin nicht so egoistisch, nur an mich zu denken. Wer ist sie?
Kenne ich sie vielleicht sogar? Ich meine, Sie könnten sie ja durch Phoebe und Geoffrey kennengelernt haben."
„Nein, nein, ich glaube nicht, daß Sie sie kennen. Ich bin selbst nicht so sicher, ob ich sie wirklich kenne." Er drückte Angelica ihren Handarbeitskorb in die Hand und ging ohne jedes weitere Wort einer Erklärung den Weg zurück, den sie gerade gekommen waren.
Ganz verdattert durch diesen unerwarteten und brüsken Abgang, blickte Angelica Matthew Thornton nach, bis sie bemerkte, daß sie kalte Füße bekam. Dann schüttelte sie zornig den Kopf und lief die Stufen zu ihrem Haus hinauf.
6. KAPITEL
Weihnachten rückte mit Windeseile heran, so daß Angelica Befürchtungen hegte, die Zeit könnte nicht reichen für die notwendigen Vorbereitungen. Dazu hatte Mrs.
Pye fünf zusätzliche Kommissionsaufträge erteilt und einen Bonus versprochen, falls die Handarbeiten noch vor dem Fest ausgeliefert wurden. Das bedeutete für Angelica, jeden Morgen noch früher aufzustehen und abends viel später ins Bett zu kommen, denn die Aussicht auf einen unerwarteten Zuwachs des spärlichen Einkommens war zu verlockend.
So weissagte Quinton ihr düster eine Katastrophe, wenn sie sich weiter so überanstrenge, und Ida Lunt verhieß einen völligen Zusammenbruch, der nicht mehr lange auf sich warten lassen werde. Die Elixiere, die beide Angelica aufdrängten, freilich düngten Blattpflanzen und flossen in den Ausguß.
Es war nicht nur die Verbesserung des Verdienstes, was Angelica sich mit Feuereifer in die neue Arbeit stürzen ließ. Es war auch und vor allem die gute Ausrede, nicht mehr im Hause der Schwester erscheinen zu können, und so einem Zusammentreffen mit Matthew Thornston aus dem Wege zu gehen. Seit dem Abend, an dem er sie nach Hause begleitet und so abrupt verlassen hatte, war es um Angelicas Nachtruhe geschehen. Auch wenn sie nicht wußte, wen er liebte, so hatte doch das Geständnis, daß er eine andere umwarb, Angelica fast das Herz gebrochen.
Sie machte sich selbst heftige Vorwürfe deswegen. Matthew hatte sie doch keineswegs ermutigt, und dennoch war die alte Liebe sofort von neuem aufgeflammt, falls sie nicht ohnehin all
die Jahre heimlich für ihn gebrannt hatte. Alles, was er ihr in den vergangenen Tagen gesagt, jede kleine Aufmerksamkeit, die er ihr erwiesen hatte, konnte zweifellos bloße Galanterie eines Mannes einer alleinstehenden Dame gegenüber sein. Denn Matthew liebte eine andere.
Wie eine Litanei wiederholten sich diese Worte immer wieder und gingen Angelica im Kopf herum, ob sie nun etwas zu tun hatte oder nicht. Trotz aller Mahnungen, sich nicht von diesem Gefühl leiten zu lassen, brachte sie es einfach nicht fertig, nicht an ihn zu denken. Nun hatte er ihr gestanden, eine andere zu lieben und ihr selbst blieb nichts anderes übrig, als ihm niemals zu zeigen, wie sehr sie sich an ihn gebunden wußte.
Bald geriet jeder im Hause in weihnachtliche Stimmung. Angelica gab sich alle Mühe, die Gedanken an Matthew hintanzusetzen und die allgemeine Vorfreude zu teilen.
Blanche Hart hatte sofort ihr Versprechen wahrgemacht und begonnen, Peggy sticken zu lehren. Das scheue Mädchen entwickelte eine unerwartete Begabung für feine Handarbeiten und verbrachte jede freie Minute damit, wenn nicht gerade Küche und Haus ihren ganzen Einsatz forderten. So war es leicht für Angelica, ein Weihnachtsgeschenk für Peggy zu finden: Nadeln und buntes Stickgarn und Rahmen, dazu Leinwand und anderes Material.
Die Schwestern Neville hatten ihrerseits einen großen Kranz für die Vordertür und je einen
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