Historical Weihnachtsband 1991
kleineren für jedes Schlafzimmer gewunden, um auf ihre Weise zum Festschmuck beizutragen. Blanche hatte noch winzige weiße Rentierfigürchen in das Grün gesteckt.
Cecilia spielte recht hübsch Klavier, und Angelica war verblüfft zu hören, daß Quinton und Ida Lunt miteinander im Duett ein Weihnachtslied zu dieser Begleitung sangen. Zwar war das Instrument im hinteren Salon etwas verstimmt, doch die Begeisterung war groß.
Als danach Quinton Keyes über ein leichtes Kratzen in der Kehle jammerte, beklagte Miss Lunt sich keineswegs über ähnliche Beschwerden, sondern kümmerte sich rührend um ihn, lief und bereitete ihm einen Wundertrank gegen Erkältung und Fieber. Quinton war so gerührt, daß er nun seinerseits mit Feuereifer daranging, ihr einen Heiltee gegen ihre häufigen Migräneanfalle zu kochen. Innerhalb kürzester Zeit waren aus den erbitterten Rivalen gute Kameraden geworden, die nun gegenseitige Erfahrungen und Rezepte austauschten und verglichen. Cecilica schrieb diese erstaunliche Entwicklung auch ein wenig ihrem Klavierspiel zu.
Gedämpft wurde die Vorfreude einzig und allein durch die Tatsache, daß die Eltern der beiden Schwestern kein Geld geschickt hatten, so daß sie nicht nach Hause reisen konnten. Natürlich gaben sich die Mädchen Mühe, ihren Kummer nicht zu zeigen, doch verrieten nasse Augen und gerötete Lider häufig, daß sie im stillen geweint hatten. Blanche Hart litt unter dem heimlichen Gram der Schwestern, und alle waren sich einig, daß unbedingt etwas zu geschehen habe, ihnen zu helfen.
Allerdings war hier guter Rat teuer, denn wie erregte man elterliche Gefühle in Menschen, die offensichtlich keine empfanden?
Angelica tat ihr Bestes, die Mädchen zu beschäftigen und abzulenken, was wieder dazu führte, daß das Haus beinahe unter den Kränzen, Gestecken und Festgirlanden verschwand. Auch duftete es nach Gewürzen und frischgebackenen Keksen.
Aufregung lag in der Luft.
Zwei Tage vor Weihnachten setzte von neuem dichter Schneefall ein. Angelica hatte die Gewohnheit, alle herrenlos streunenden Hunde und Katzen der Umgebung zu füttern, und sammelte auch jetzt die Abfälle des Frühstücks, um sie zu einem Futternapf in den leeren Stall zu bringen.
Die Tür stand dort für diese Schützlinge Tag und Nacht einen Spalt offen. Es gab ohnehin nichts zu stehlen. Schnee und Eis hatten die Pforte in den Angeln festgefroren, doch Angelica hatte keine Mühe, sich durch die schmale Lücke zu drängen. Im Dunkeln krochen zwei Hunde auf sie zu, als erwarteten sie, geschlagen oder fortgejagt zu werden, und wedelten trotzdem mit den Schwänzen.
Angelica redete ihnen freundlich zu und stellte das Futter auf den Boden. Heißhungrig machten sich die mageren Kerle darüber her. Dann trug sie Milch und einige weiche Bissen zu einer ausgedienten Werkbank, auf der sich ein halbes Dutzend Katzen drängten und miauten. Auch die zutraulichen Tiere wurden gefüttert.
Plötzlich erregte ein unterdrücktes Geräusch im Hintergrund Angelicas Aufmerksamkeit. Sie hielt inne und lauschte, schaute sich um, konnte aber nichts ausnehmen. So pfiff sie leise, in der Annahme, ein weiterer Hund habe sich dort verkrochen. Alles blieb still. Sie zuckte die Achseln. Vermutlich hatte ihr bloß die Phantasie wieder einmal einen Streich gespielt. Ein hungriges Tier wäre längst herbeigeschlichen.
Sie hatte Tiere schon immer geliebt und streichelte zärtlich das Fell eines lohfarbenen Kätzchens. Hätte sie es sich leisten können, so wäre ihr Wunsch gewesen, einige vierbeinige Hausgenossen zu besitzen. Heute noch vermißte sie die Fuchsstute, die Philip samt der Kutsche eines Nachts verspielt hatte. In der gegebenen Lage freilich war es vorteilhaft, kein zusätzliches Maul stopfen zu müssen.
Wieder regte sich etwas in der Dunkelheit, gefolgt von einem kaum hörbaren Stöhnen. Es war so leise, so schwach, daß Angelica zuerst ihren Ohren ebenso mißtraute wie vorher den Augen.
„Ist da jemand?" rief sie. Keine Antwort. Angelica wandte sich zur Tür zurück. Im Vorübergehen redete sie noch beruhigend auf die Hunde ein, die trotz heftigen Schweifwedeins sofort zur Seite gewichen waren, als sich der Schritt genähert hatte.
Es war zwar leichter, herrenlose Hunde an sich zu gewöhnen als die scheuen Katzen, doch waren die ersteren ängstlicher und mißtrauischer.
„Hilfe, bitte." Die Worte klangen so leise, daß Angelica sie fast überhört hätte. Sie schienen aus der Ecke zu dringen. Inzwischen hatten
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