Historical Weihnachtsband 1991
Auftauchen erschienen ihr gefährlich, sondern vor allem auch die eigenen Gefühle für Jerrod Ross. Dabei empfand sie in seiner Nähe Wärme, Sicherheit, ohne jemals zu vergessen, daß sie ihm nur allzuleicht verraten könnte, wie sehr sie schon an ihm hing.
Endlich wischte sie sich noch einmal über die tränennassen Wangen, griff nach dem Melkeimer und legte den Umhang um die Schultern. Draußen mischten sich die eisigen Schneekristalle
schnell mit den Tränen.
Obwohl sie immer etwas zu tun fand, schlichen die Stunden bleiern dahin, vergingen der Morgen und der Nachmittag nur schleppend. Erst wollte Beth den Weihnachtsschmuck aufhängen. Dann verwarf sie diesen Gedanken wieder. Nach dem Streit mit Jerrod am letzten Abend hatte sie nur oben die Zimmer schmücken wollen. Nach dem heutigen Gespräch in der Scheune jedoch würden sie sich vielleicht doch verständigen können. Dann würde Beth auch hier unten einige Sachen aufstellen.
Sie war auch nicht in der rechten Stimmung, Weihnachtsbäckerei zu bereiten.
Zudem wäre es nicht richtig, wenn die Männer bei ihrer Rückkehr von dem verheißungsvollen Duft empfangen würden, ohne von den Keksen kosten zu können. Schließlich nähte Beth und besserte Leinenlaken aus. Dabei war sie so wenig bei der Sache, daß sie sich mehr als einmal in den Finger stach. Von Zeit zu Zeit kam einer von Ross' Männern vorbei und berichtete dem jungen Iren, den sie zurückgelassen hatten. Er hielt sich meist in dem Beratungsraum mit den Landkarten auf, wenn nicht gerade Leute auf der Straße vorbeikamen, mit denen er sich unterhalten konnte.
So erfuhr Beth dann auch, daß sich im Laufe des vergangenen Tages bewaffnete englische Marodeure im Raum Haverford gezeigt hätten und Lieutenant-Colonel Ross deshalb weiter östlich eine Straßensperre habe errichten lassen. Beth kannte die Stelle gut. Eine Brücke wölbte sich dort über einen steinigen Fluß. Der Weg führte fast nur durch McGowan-Gebiet.
Der Gedanke kam Beth, nachdem sie mit Tim gegen zwei Uhr ein leichtes Mittagessen ziemlich lustlos verzehrt und ihn danach mit einem vollen Teller zu dem Wachsoldaten geschickt hatte. Natürlich froren die Männer da draußen und waren hungrig. Eilends ging sie daran, Apfelklöße zu machen. Vielleicht würde man es sich ein zweites Mal überlegen, ehe man die Axt an einen weiteren Obstbaum legte.
Tim erfuhr von dem Plan seiner Mutter, sollte bloß dem jungen Iren nichts davon verraten, daß sie das Essen hinausbringen wollte. Um Tim machte sie sich keine Sorgen, da der Soldat ja auf
der Farm war. Den Jungen beschwichtigte sie, als er sie unbedingt begleiten wollte, damit, daß er nun auf das Haus aufzupassen habe. Außerdem würde sie schnell genug wieder zurückkommen.
Zwar konnte sie kein heißes Getränk mitnehmen, doch füllte sie einen Deckelkrug aus Zinn mit kaltem Kaffee. Vielleicht konnten die Männer ihn draußen über einem Feuer erhitzen. Dann stieg sie mit Tims Hilfe in den Sattel der müden Mähre und nahm den schmalen Feldweg in Richtung der Brücke.
Beth kam sich vor wie in alten Zeiten, da sie über Land geritten war. Nur daß damals Friede geherrscht hatte. Sie sehnte sich nach Ruhe und Geborgenheit, nach dem Weihnachtsfrieden auf Erden, der den Menschen guten Willens verheißen ließ. Aber ebenso verlangte sie nach dem inneren Frieden des Herzens, nach Harmonie mit Jerrod trotz aller Hindernisse, die sich zwischen sie stellen mochten. Beth versuchte, Ordnung in ihr verworrenes Empfinden zu bringen. Es war nicht möglich, daß sie Jerrod Ross wirklich liebte. Den bloßen Gedanken wies sie fast heftig zurück.
Wenigstens, solange sie nicht wissen konnte, wie Jerrod tatsächlich zu ihr stand, durfte sie sich keinen solchen trügerischen Hoffnungen hingeben.
Der Erdboden war hart gefroren, doch seit Stunden schon wirbelten keine eisigen Schneeflocken mehr durch die Luft. Die Landschaft war wunderschön mit dem Weiß und den Grauschattierungen des Himmels darüber. Aus der Ferne drang der beißende Geruch eines Holzfeuers herüber, vermischte sich mit dem würzigen Aroma, das von den Apfelklößen in den beiden Satteltaschen aufstieg. Beth hatte den letzten Zimtrest daran verschwendet. Nun hatte sie den Fluß erreicht, der sich um eine Kehre bog und der Brücke zustrebte. Beth lenkte die Stute nach rechts, der Chaussee zu.
Nun erst kam Beth die Gefahr zu Bewußtsein, in die sie sich vielleicht hier begab, weniger von den Engländern, die sich nicht querfeldein
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