Historical Weihnachtsband 1991
Weg, rief Beth über die Schulter zurück: „Ich reite in die Stadt und hole Hilfe für Lieutenant-Colonel Ross." Es war, als schlügen die Pferdehufe den Takt der letzten Worte immerfort in die Stille: Hilfe für Colonel Ross, Hilfe für Ross . .
. Beth hetzte den Hengst über die eisige, unebene Straße in Richtung Berwyn. Es standen vier Amerikaner gegen zwanzig Briten. Beth mußte Verstärkung finden, und das schnell.
Unterwegs überlegte sie. War es nicht vernünftiger, statt in der Stadt lange nach einem Offizier zu suchen, der ihr vielleicht auch nicht weiterhelfen konnte, denn es lag nur eine kleine Brigade dort im Quartier, gleich nach Valley Forge zu preschen, das nicht weiter entfernt war als Berwyn? Dort würden gewiß genügend Leute sein, diesen Rotröcken die Lust auf weitere Überfalle zu vergällen. Beth beugte sich auf den Hals des Pferdes. Wie ein Pfeil flog der Hengst dahin. Ihre Wangen glühten, der Wind blies scharf und stach wie mit Nadeln die Flaut. Wie lange dauerte bloß der Ritt auf dieser Straße noch? Beth begann zu zittern.
Warum sah sie immer noch keine Wachen? Man mußte doch welche aufgestellt haben. Wann würde sie endlich Hilfe finden? Sollte Jerrod etwa jetzt sterben, bloß weil er die Farm und die Umgebung verteidigen wollte? Warum hatte Beth ihm nicht noch gesagt, daß sie ihn liebte? Wenn er sich mit seinen Männern zurückziehen mußte, lief er Gefahr, ebenso erschossen zu werden wie William. Nein, das durfte nicht geschehen. Sie schickte ein Stoßgebet in den eisgrauen Himmel.
Den Rest des Weges mußte Beth beinahe zu Fuß hinter sich bringen. Schwer beladene Karren hatten tiefe Spuren in den schlammigen Schneematsch gegraben.
Kleine Eisenstücke waren herumgestreut, um Feinde am Vorwärtskommen zu hindern. Endlich hörte sie einen lauten Befehl und zügelte das Pferd.
„He, Frau, halt!"
Schnell genug konnte Beth den drei Wachsoldaten den Zweck ihres Kommens verständlich machen. Einer schwang sich auf Jerrods Hengst und galoppierte weiter zu dem Lager, um Verstärkung zu holen.
Beth betrachtete die beiden anderen, die bei ihr standen. Der eine war ein Graubart, der sich den Platz am warmen Feuer längst im Leben verdient hatte und Enkelkinder haben mochte. Der andere war kaum trocken hinter den Ohren, zerlumpt und mager. Als Unterkunft diente den Randposten von Valley Forge ein nackter Felsblock am Weg. Sie hatten nicht einmal ein Feuer gemacht und wirkten völlig erschöpft und heruntergekommen in verblichenen, zerrissenen Uniformen. Während sich beide bemühten, Beth mit einem höflichen Gespräch zu unterhalten, schaute sie sich unauffällig um.
Die Landschaft bis zum amerikanischen Lager war wie leergefegt. Der Wind heulte und pfiff über ein ödes Niemandsland, aus dem da und dort die niedrigen Stümpfe umgehauener Bäume ragten. Die Schuhe des Jungen hatten Löcher, und der Alte ging nur in Gamaschen.
„Warum dauert das so lange?" fragte Beth unvermittelt.
Der Graubart legte ihr tröstend eine verbundene Hand auf die Schulter. „Wir haben nicht viele Männer im Lager, brauchen Nachschub, müssen Hütten bauen. Das braucht Zeit, Pferde und Leute in Gang zu kriegen."
„Aber Menschen sind in Gefahr."
„Wissen wir, Ma'am, wissen wir."
Wie ein greller Blitz traf Beth die volle und erbarmungslose Erkenntnis, wie verzweifelt die Lage in Wirklichkeit war. Die gute und gerechte Sache, für die William gestorben war und für die
Jerrod kämpfte, hing buchstäblich an einem seidenen Faden. Der Winter machte dem Land und den Truppen zu schaffen. Die Soldaten waren entweder halbe Greise oder Jungen, nicht viel älter als Tim. Sie gingen in Lumpen, frierend, hungrig, und doch gaben sie nicht auf. Noch nicht. Unter der Führung einiger verzweifelnder Offiziere, die gleich Jerrod von dem Recht dieses Landes auf Freiheit und Unabhängigkeit überzeugt waren, bildeten sie einen lebenden, schwachen Schutzschild. Nur sie trennten die Bevölkerung vom Abgrund, standen zwischen den Bürgern und der englischen Armee mit ihren Verbündeten. Davon hatte sie keine Ahnung gehabt.
Und auf der Farm hatten sie immer noch wohlgehütete Vorräte, Schinken, Äpfel, gepökeltes Fleisch und einen Haufen Holz zum Heizen, sowie die Hoffnung auf ein warmes, gutes Weihnachtsessen im kerzenerleuchteten Haus.
Vor Beths innerem Auge erschienen die rohgezimmerten Behelfshütten, von diesen Männern mit froststarren Händen aufgerichtet, während ihnen der Magen knurrte.
Wie töricht, wie
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