Historical Weihnachtsband 1991
Morgen, als er Beth in der Dämmerung der Scheune angetroffen hatte, mitten zwischen weichen Strohballen, hatte Jerrod Ross sich sehr zurückhalten müssen, sie nicht einfach mit sich zu Boden zu reißen. Dabei war der Augenblick denkbar ungünstig gewesen. Nichts als Mißverständnisse und Schwierigkeiten türmten sich zwischen ihnen auf. Vielleicht würde es sogar noch schlimmer kommen, falls die Armee noch mehr Farmgrund beschlagnahmen müßte. Die Lage hätte gar nicht verfahrener sein können. Trotzdem begehrte und bewunderte Jerrod Ross diese junge Frau, wie er noch nie eine andere begehrt und bewundert hatte.
Jetzt hob er sie in den Sattel. Die Stute war keineswegs so lahm, wie Beth ihn hatte glauben machen wollen.
„Wir alle sind Ihnen für diese freundliche Aufmerksamkeit sehr dankbar", sagte er.
Beth schien unschlüssig. „Ich wollte auch meinen Teil beitragen", versetzte sie endlich. „Nachdem wir wahrscheinlich Weihnachten miteinander feiern werden, ich meine, doch mit Ihren Leuten, fand ich es angebracht, wenigstens auch eine kleine Geste zu machen."
„Vermutlich werden wir zum Fest nicht mehr nur vier sein", räumte Jerrod ein. „Und vielleicht kann ich nicht einmal dabeisein, solange die Gegend hier nicht vollkommen sicher ist."
Beth preßte die Lippen zusammen und nickte. Seine Hoffnung stürzte wie ein Kartenhaus zusammen, weil Beth diese Nachricht so gelassen aufgenommen zu haben schien. Vielleicht hatte sie auch bloß als Patriotin gehandelt und nicht die Absicht gehabt, sich mit ihm zu versöhnen? Oder sie hatte ihn ein wenig bestechen wollen, falls es dazu käme, mehr Obstbäume abholzen zu lassen? Das schmerzte ihn ebenso wie der Gedanke, daß sie immer noch Feinde waren.
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„Sir", rief jetzt der eine Soldat herüber. „Sir, wenigstens zwanzig Briten zu Pferd und ein paar große Karren."
Jerrod Ross rannte zur Brücke und hielt Ausschau. In einer guten Meile Entfernung hoben sich die roten Uniformen, die schwarzen Hüte und blitzenden Gewehrläufe scharf von dem Weiß des Schneehintergrundes ab. Jerrods Gehirn arbeitete blitzschnell. Er stürmte zu Beth zurück und zog sie aus dem Sattel.
„Nimm mein Pferd, und reite zu dem Iren. Er soll sofort Verstärkung aus der Stadt oder von Valley Forge holen. Das dort sind keine bloßen Marodeure. Hier handelt es sich um einen Trupp auf Versorgungsritt. Dich hat mir ein gütiger Himmel geschickt, denn ich könnte jetzt keinen Mann entbehren."
„Sie werden gleich da sein, und ihr seid bloß vier . . ."
„Dank der Überraschung können wir sie wahrscheinlich eine Weile von der Brücke abhalten, falls sie wirklich näher kommen. Ich lasse dir die beiden Sattelpistolen für Tim und dich, wenn die Kerle so weit gelangen sollten. Bitte jetzt keine Widerrede.
Tu einmal, was ich dir sage, Beth!"
Sie nickte wortlos. Natürlich würde sie alles tun, ihnen zu helfen. Schon im Sattel, beugte sie sich noch einmal herunter und strich Jerrod über die Schulter.
Er faßte nach ihrer Hand, drückte einen Kuß auf das Gelenk und sagte: „Reit wie der Teufel, meine starrköpfige Liebste." Es hatte ihn selbst überrascht, daß diese Worte aus seinem Mund gekommen waren. Ein Schlag auf die Hinterhand des Pferdes ließ es in Galopp fallen.
Beth hielt sich krampfhaft auf dem starken, riesigen Hengst, während die Gedanken wie toll durch ihren Kopf schwirrten. Ein Ausdruck trat immer wieder in den Vordergrund. „Meine . . . Liebste!" In höchster Gefahr, vielleicht sogar in Todesnähe, hatte Jerrod Ross Beth McGowan seine „Liebste" genannt.
Nach kurzer Zeit erreichte Beth die Farm, doch von dem jungen Iren war keine Spur zu sehen. Nur Tim rannte aus dem Haus, seine Mutter zu begrüßen, die alte Flinte in Händen.
„Habe ich dir nicht verboten, das Ding auch nur anzufassen, Tim?"
„Schon, aber ich muß doch die Farm und dich verteidigen können. Der Ire mußte in die Stadt. Ein Soldat hat ihn geholt. Es gab da Schwierigkeiten. Und Lieutenant-Colonel Ross hatte ihm befohlen, nur in einem solchen Fall die Farm zu verlassen."
„Aber wir haben selbst Schwierigkeiten hier. Unsere Leute haben einen englischen Versorgungstrupp ausgemacht und brauchen Hilfe. Du gehst sofort in den Keller und versteckst dich dort. Und wage es ja nicht, etwa zu schießen, wenn die Rotröcke hier auftauchen. Ich will nicht, daß dir etwas zustößt. Verstanden?"
„Und wie ist das mit dir? Wo willst du hin auf Lieutenant-Colonel Ross' Pferd?"
Schon wieder auf dem
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