Historical Weihnachtsband 1991
Erwachsenen ernst zu nehmen, ihn zur Unabhängigkeit und Selbständigkeit zu bringen.
„Ich hing sehr an meiner Mutter", fuhr Jerrod Ross fort. „Ich hätte alles getan, ihr Freude zu machen. Ich glaubte, daß wir einander ebenso nahestanden wie mein Vater und mein Bruder, sein . . . Erbe. Ich aber fühlte mich ganz als Amerikaner, je älter ich wurde, während mein Vater und James sich immer noch als Briten betrachteten und der Krone treu ergeben waren. Schon bei den ersten Anzeichen der beginnenden Auseinandersetzungen zwischen den Tories und den Aufständischen in Boston stellte ich mich auf die Seite derer, die nach Unabhängigkeit von England strebten."
Wieder schloß Jerrod kurz die Augen, bevor er weitersprach. „Nach der Rückkehr meines Vaters und meines Bruders James spitzten sich die Dinge bis zu Gewalttätigkeiten von beiden Seiten zu. Mein Vater bestand darauf, daß ich wie James dem König die Treue halten und mit meiner Familie nach Kanada ins Exil gehen sollte. Ich widersetzte mich und hoffte dabei natürlich, daß meine Mutter mich wenigstens verstehen, wenn vielleicht auch nicht eben unterstützen würde."
Er unterbrach sich, strich sich über die Stirn. „Sie tat weder das eine noch das andere. Trotz allem, was ich glaubte, das uns verbände, sagte sie bloß, daß sie mir ohnehin niemals richtig vertraut habe, und enterbte mich ebenso wie Vater. Nur war es bei ihr tausendmal härter als bei Vater und James, daß ich sie verloren hatte."
Die Stimme war schneidend, metallisch, paßte zu dem harten Ausdruck des Gesichtes. „So also war das mit der Frau, die mich verlassen hat. Seit damals habe ich mein Herz nie mehr an eine Frau gehängt, nicht vor dir. Ich trat zuerst in die lokale Miliz ein und später dann in Washingtons Armee, als sie Boston besetzten.
Die Armee und die gerechte Sache, für die wir kämpfen, wurden meine Familie.
Doch dann kamst du."
Sein Schmerz war so deutlich spürbar, daß Beth mit Jerrod litt.
„Das tut mir so leid für dich", flüsterte sie und verstummte gleich wieder. Wortlos, beinahe atemlos schauten sie einander
lange an. Beth umfaßte Jerrods Hände und drückte sie.
Er räusperte sich. „Nun, Elizabeth McGowan, so siehst du hier vor dir einen Mann, der in diesen unruhigen Zeiten einen äußerst gefahrlichen Beruf und nicht die geringste Ahnung von Landwirtschaft hat. Und dieser Mann sehnt sich fast krankhaft nach einer Frau, die auf einer Farm lebt, die ihr alles bedeutet. Ich bin ein Heimatloser, von der eigenen Familie verstoßen, enterbt, ohne Einkünfte außer meinem mageren Offizierssold. Und der wird in der neuen Währung ausbezahlt, in die du so gar kein Vertrauen setzt. Trotzdem frage ich dich, ob auch du mich lieben könntest, komme, was da wolle."
Zwar fand Beth nicht gleich Worte, ihr Herz dagegen jubelte und sie glaubte, auf Wolken zu schweben. Hatte sie sich nicht genau das so sehr gewünscht? Daß nicht nur sie ihn zu der Weihnachtszeit so innig liebte, sondern er ihre Gefühle erwiderte?
Allerdings wußte Beth nicht genau, was er ihr da eben gestanden hatte. Seine Liebe oder nur den Wunsch, mit ihr ein Liebesverhältnis zu haben? War es eine Bitte um Verständnis oder ein Antrag? Ein Antrag? Zu welchem Ende? Beth nahm an, daß es nicht ernsthaft möglich sei, sich in irgendeiner Form zu binden, bevor der Krieg zu Ende wäre und jeder von ihnen seine Verpflichtungen erfüllt hätte. Die waren gegensätzlich genug.
Behutsam, um nicht an die Wunde zu rühren, legte Beth Jerrod die Arme um den Nacken und küßte ihn. Trotz der Verletzung riß er sie hart an sich und zog sie auf seine Knie.
„Jerrod", sagte sie leise. „Die Gefahr, in der du heute geschwebt hast, hat mich einsehen lassen, was du mir bedeutest. Ich lebte in einem solchen Wirrwarr von Empfindungen, aus denen sich eine herausentwickelt hat, die dauert. Liebe. Nun, da du mir dasselbe eingestehst, wird alles nur noch viel klarer, viel deutlicher."
Er nickte und legte das Kinn auf ihren Scheitel. „Vielleicht ist das eine Art Weihnachtsgeschenk für uns, etwas, das wir noch nicht ganz öffnen und auspacken können. Wenigstens jetzt noch nicht. Solange der Krieg nicht vorüber ist, kann ich dir kein bindendes Versprechen geben."
Sie hob den Kopf und schaute ihm tief in die dunklen Augen.
„Ich weiß. Es geht mir ebenso."
Mitten hinein in einen langen und leidenschaftlichen Kuß hörte Beth, wie die Tür geöffnet wurde, und sah gerade noch, daß Tim von draußen
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