Historical Weihnachtsband 1991
ungemein selbstsüchtig sie doch gewesen war! Aber sie hatte ja nicht geahnt, wie dieser Krieg wirklich aussah.
Tränen in den Augen, wandte Beth sich an die beiden Soldaten. „General Washington kann stolz auf euch sein."
„Das sind wir auch auf ihn", murmelte das magere Kerlchen. „Schläft in einem Zelt wie wir alle, sagt, er zieht erst in ein Haus, wenn wir alle eine Hütte haben. Ist ein Trost für uns, wie damals auf den Brooklyn Heights."
Ein kalter Schauder rann Beth über den ganzen Körper, und das hatte nichts mit dem eisigen Wind zu tun. „Sagen Sie Brooklyn Heights? Mein Mann ist dort gefallen, als er mit dem dritten Bataillon den Rückzug deckte."
Der alte Mann nahm den durchlöcherten Zweispitz ab und verbeugte sich tief. Der Junge nickte gewichtig dazu.
„Dann war Ihr Mann ein Held, Ma'am. Das hat der General oft genug gesagt. Freilich haben wir am Anfang nichts als verloren, aber nicht kampflos. Das will ich meinen."
In diesem Augenblick ließ sich Hufschlag vernehmen. Zehn Mann und mehr kamen dahergeritten. Der Corporal an der Spitze saß auf Jerrods Hengst und hielt neben Beth McGowan an.
„Kommen Sie, ich helfe Ihnen rauf, Ma'am, und nehme Sie mit zurück", rief er ihr zu und streckte die Hand aus. Rasch verabschiedete sich die junge Frau von den Wachsoldaten, dann hob der Corporal sie hinter sich auf das Pferd.
Beth besann sich kurz, riß ihren dicken Umhang von den Schultern und warf ihn den Männern hinunter. „Teilt ihn euch, ihr braucht jetzt etwas Warmes. Und weil doch Weihnachten vor der Tür ist..."
Das war alles, was sie herausbrachte. Dann mußte sie sich festhalten, um nicht hinuntergeschleudert zu werden, denn der Trupp ritt mit verhängten Zügeln davon.
Hinter sich hörte Beth noch die Jubelrufe der Zurückbleibenden. Mochte sie auch den Graukopf und den dürren Jungen nie wiedersehen, so hatte sie ihnen mehr zu verdanken, als sie jemals würde vergelten können. Der Druck, der seit Williams Tod auf ihr gelastet hatte, war mit einemmal von ihr genommen.
★
Zurück im Hause, hörte Beth aus der Ferne Schüsse krachen und hätte am liebsten die alte Flinte ergriffen, um den Bedrängten zu Hilfe zu eilen. Immerhin hielten die vier Männer mit Ross noch stand und hatten den Rückzug nicht angetreten. Rastlos ging sie auf und ab und faßte endlich einen Entschluß.
„Tim", rief sie hinaus.
Der Junge stand unbeweglich in den ersten Schatten der einbrechenden Dämmerung und schaute in die Richtung, aus der sich das Gewehrfeuer vernehmen ließ.
„Tim, ich möchte das Haus für Weihnachten schmücken und brauche frische Tannenzweige."
„Jetzt, Mutter? Wie kannst du jetzt daran denken, solange Lieutenant-Colonel Ross . . ."
„Es ist gerade wegen ihm. Wir haben ihm ein schönes Fest versprochen. Und wer weiß, ob wir es für ihn nicht früher feiern
müssen. Wenn er heute nach Hause kommt, will ich ein Festessen auf dem Tisch stehen und den Weihnachtsschmuck aufgehängt haben."
„Ich verstehe, natürlich. Das wird ihm ganz sicher viel Freude machen."
„Freude", sagte Beth leise vor sich hin. „Ich wollte, ich könnte allen Soldaten General Washingtons eine Freude machen."
Wieder in der warmen Küche, redete Beth McGowan weiter mit sich selbst. „Ich liebe Jerrod, und wir wollen ein glückliches Weihnachtsfest miteinander verbringen." Zum erstenmal fiel ihr auf, wieviel Jerrod Ross ihr bedeutete . . . Viel mehr als William McGowan und ganz anders als dieser. Die Zuneigung zu William war langsam gewachsen, weil er ihr Sicherheit und Boden unter den Füßen gegeben hatte. Bei Jerrod war es vollkommen anders. Trotz aller Verschiedenheit der Auffassung von Pflicht und Gefahr, trotz des festen Wunsches, sich die innere Unabhängigkeit zu bewahren, liebte Beth ihn.
Tim stürmte hinaus, das Reisig abzuschneiden, und Beth lehnte sich mit gefalteten Händen gegen den Herdaufsatz und drückte die Stirn darauf.
„Lieber Gott", flüsterte sie mit erstickter Stimme. „Ich verstehe, daß mein Gebet für Williams Rückkehr nicht erhört werden konnte, aber diesmal, bitte, dieses Mal flehe ich dich an, vielleicht könnte . . ." Sie unterdrückte ein Schluchzen und hob den Kopf mit einer trotzigen Gebärde. Jetzt war nicht die Zeit, den Mut zu verlieren oder entschlußlos die Hände in den Schoß zu legen. Sie ließ den Blick weitergleiten und sah sich selbst im Spiegel. Tränen standen ihr in den Augen, dahinter leuchtete Hoffnung. Und dann fiel Beth noch etwas auf.
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