Historical Weihnachtsband 1992
anfühlte, seidig und kostbar! Nein, sie würde der Versuchung widerstehen. Gewiß ließen sich in Lord Lindsays Schränken Hemd und Schottenrock finden. Das schien immer noch schicklicher, als ein Kleid seiner Liebsten zu tragen.
Wenn das immer noch tobende Unwetter die Sachen verdarb, tat es auch nichts.
Sie war sich bewußt, daß sie sich eigentlich schämen sollte, in den persönlichen Dingen des Earl zu kramen, doch das Erstaunen war größer. Wie elegant und aus welch kostspieligen Stoffen die Gehröcke und Hosen doch waren!
Mit seinem guten Aussehen und blendend angezogen, mußte er in der Londoner Gesellschaft eine glänzende Figur machen. Blair versuchte sich vorzustellen, wie er in den engen Hosen aus feinster Wolle wirken mochte, die sicher jede Linie der strammen Beine betonten.
Als hätten die Gedanken ihn angelockt, stand er plötzlich in der Tür, mit einem seidenen Morgenmantel bekleidet. Allem Anschein nach war er gekommen, um sich etwas zu holen. Bei Blairs Anblick verhielt er einen Moment den Schritt und sah sie verlangend an. Er war nicht darauf gefaßt gewesen, daß sie das Badezimmer bereits verlassen hatte und halbnackt in seinem Schlafzimmer stehen würde. Wie oft hatte er sie in der Fantasie hier gesehen! Jäh brach die zurückgestaute Leidenschaft sich Bahn, die jahrelange Sehnsucht nach dieser Frau, und er konnte sich nicht mehr beherrschen. Mit einem Griff zog er das Tuch weg, das ihren Körper verhüllte.
Bei dieser unverschämten Anmaßung überkam sie Wut; das Blut stieg ihr in die Wangen, und ihre Augen loderten vor Zorn. Trotzig warf sie den Kopf in den Nacken, als wolle sie Cameron herausfordern, den nächsten Schritt zu wagen. Eine Ewigkeit verstrich, ohne daß ein Wort fiel. Beim Schein des flackernden Kaminfeuers war jeder in den Anblick des anderen versunken. Blair wußte, daß sie Cameron eigentlich hassen sollte. Er hatte sie und Glenmuir verlassen und vergessen, die Menschen verraten, die ihm vertrauten, und niemals auf Briefe geantwortet. Erst als die Königin ihre Vorliebe für die Highlands entdeckte, war er zurückgekehrt. Und doch erinnerte er sie an den Knaben von einst. Unwillkürlich hob sie die Hand und strich ihm das feuchte Haar aus der Stirn.
Bei der Berührung lächelte er, ergriff ihre Hand, führte sie an die Lippen und küßte die Innenfläche.
Die harmlose Geste setzte Blairs Welt mit einem Schlage in Flammen. Nirgendwo würde Blair sich wohler fühlen, als in
seinen Armen, mochte es auch gegen alle Vernunft sein.
Als habe er ihre Gedanken geahnt, riß er sie ungestüm an sich, streichelte erregt ihre Schultern, den Rücken, und murmelte zärtlich ihren Namen, bevor er ihr den Mund mit einem Kuß verschloß.
Er raubte ihr den Atem und löschte alles aus. Sie begann zu keuchen; ihr Herz schien im gleichen heftigen Rhythmus zu klopfen wie seines, und das Brausen in ihren Ohren steigerte sich mehr und mehr. Cameron löste sich von ihrem Mund und streifte mit den Lippen ihre Brüste. Sie stöhnte unter dem auf und hatte den sehnlichsten Wunsch, jede dieser neuen Empfindungen wohlig auszukosten.
Benommen fragte sie sich, wie sie je an Cameron hatte zweifeln können, und drückte sich innig an ihn.
Er preßte die Lippen zusammen, um die Lust zu bezwingen, hob Blair auf die Arme und legte sie auf das Bett.
Seine Kraft und Behutsamkeit waren hinreißend, und Blair fand alles wunderbar, bis sie plötztlich die kühle Seide des Kleides unter sich fühlte.
Eloises Kleid! Die Erkenntnis bewahrte sie vor dem Abgrund. Sie riß sich von Cameron los und sprang hastig aus dem Bett. Zornig über sich selbst, aber auch auf den Verführer, begriff sie, was beinahe geschchen und wie leicht sie ein Opfer ihrer Sinnlichkeit geworden wäre. Sie war im höchsten Maße bestürzt, brach in Tränen aus und schluchzte: „Du hast zwar keine einzige Hochlandtracht im Schrank, aber dafür die Ballkleider anderer Frauen! Schick doch nach Miss Eloise! Sie wird sich bestimmt freuen, Deine Wünsche zu erfüllen!"
„Aber, Blair, ich habe das nicht gewollt. Ich wollte dir doch nur. . ."
Sie raffte das zu Boden gefallene Badetuch auf, wickelte sich hinein und verließ hastig den Raum, als habe sie Camerons Worte nicht gehört. Sie wußte nur allzu gut, was seine Absicht gewesen war. Nun war sie froh, daß sie stolz erhobenen Hauptes und in durchnäßten Kleidern den Heimweg nach Duncan House antreten konnte.
6. KAPITEL
Der späte Abend und die darauf folgende Nacht verschwammen
Weitere Kostenlose Bücher