Historical Weihnachtsband 1992
können wir uns weiter unterhalten. Au! Was, zum Teufel, haben Sie denn da? Stacheln? Sie würden ausgezeichnet zu ihrem Wesen passen!" äußerte er erbost, ließ die Reiser und Stechpalmäste fallen und begutachtete die zerstochene Hand.
„Ich habe Sie nicht um Hilfe gebeten! Sie haben sich mir aufgedrängt!"
„Aber nicht so, wie ich es gern möchte", murmelte er und wand das Taschentuch um die schmerzende Rechte. „Sonst würden Sie verstehen, was ich jetzt fühle."
„Wie bitte?" Blair hob die im Morast liegenden Zweige auf. Sie hatte Lord Lindsays letzte Bemerkung nicht gehört, weil über ihnen der Donner rollte.
„Ich sagte nichts von Bedeutung. Aber sitzen Sie endlich auf! Sonst werfe ich Sie einfach quer über das Pferd!" erwiderte der Earl scharf. „Ganz gleich, was ich früher behauptet habe, verspreche ich Ihnen, mich als vollendeter Gentleman zu betragen.
Aber ich lasse Sie nicht in diesem Unwetter allein."
Ein Niesen gab seinen Worten Nachdruck, und Blair lenkte ein. „Gut. Wenn Sie noch eine Weile hier draußen wären, müßten Sie vermutlich wochenlang das Bett hüten."
„Nur unter der Bedingung, daß Sie mir Gesellschaft leisten", kam es ihm über die Lippen, und rasch hob er Miss Duncan auf den Rücken des Hengstes.
„Darf ich Sie erinnern, daß Sie mir Ihr Wort gegeben haben, sich als Gentleman zu benehmen", grollte sie und setzte sich etwas unbehaglich zurecht. Natürlich scheute sie sich, auch nur kurze Zeit eng an dem Earl gedrückt zu reiten, aber sie wollte ihn auch nicht länger mit weiteren Einwänden dem herunter-prasselnden Regen aussetzen. Hätte er sie nicht aufgehalten, wäre sie jetzt fast zu Hause, statt fröstelnd im Sattel des Grauschimmels zu sitzen.
„Machen Sie sich keine Sorgen um meine Gesundheit", sagte Lord Lindsay und streifte mit besorgtem Blick Blairs restlos durchweichtes, wollenes Schultertuch und dünnes Kleid. Hastig schwang er auf den Grauschimmel und spürte, wie Miss Duncan zitterte. Er legte ihr einen Arm um die Taille, um ihr wenigstens ein wenig Wärme zu geben, und unterdrückte den Wunsch, ihr über das wirre Haar zu streichen. Er hielt sie an sich gedrückt und war nicht gesonnen, den ersten Erfolg gleich wieder aufs Spiel zu setzen. „Ich bin sehr froh, daß Sie endlich zugestimmt haben, mich zu begleiten. Es ist schon zu lange her, daß Sie dort gewesen sind."
Blair schwieg und konzentrierte sich auf den ungemütlichen Ritt, statt auf die trügerische Wärme, die sie unversehens durchströmte. Vielleicht würde Cameron sogar die Tränen, die ihr über die Wangen rannen, für Regentropfen halten. Denn was einst zwischen ihr und ihm gewesen war, konnte sie nicht wieder verbinden.
Und das tat weh.
★
„Ich werde jetzt zu Fuß nach Duncan House zurückkehren", erklärte Blair sehr bestimmt, als Lord Lindsay ihr vor dem Portal von Lindsay Hall aus dem Sattel half.
Das große Herrenhaus war in bestem Zustand, und es mangelte nicht an Dienstboten. Der Butler öffnete die Tür, und Stallburschen kümmerten sich um das Pferd.
„Unsinn, das werden Sie nicht tun! Williamson, Mrs. Pearson soll ein heißes Bad für Miss Duncan einlassen. Und dann schicken Sie jemanden nach Duncan House und lassen ausrichten,
daß sie heute abend mit mir dinieren wird."
„Ich habe meine Einwilligung nicht gegeben", wehrte Blair Duncan ab und ließ sich von Lord Lindsay in einen kostbar eingerichteten Salon führen. „Außerdem macht es zu viele Umstände. Mylord, mir läuft das Wasser aus Kleidern und Haaren auf den schönen Teppich, den noch ihre Mutter ausgesucht hat. Bringen Sie mich in die Küche!"
„Unfug! Machen Sie sich keine Sorgen, nur weil es uns früher verboten war, hier herumzutollen. Inzwischen sind wir beide längst erwachsene Menschen, falls Ihnen das noch nicht aufgefallen ist."
„Ja", sagte Blair gedehnt. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, als der Earl nähertrat und ihr das Plaid abnahm. Jetzt sah er wieder aus wie der Knabe, den sie einst schwärmerisch veehrt hatte. Die bloße Berührung seiner Fingerspitzen bewirkte, daß sie zu brennen glaubte. Was war mit ihr geschehen? Hatte sie sich etwa eine Erkältung geholt?
„So, nun trinken Sie zum Aufwärmen einen Schluck Cognac. Ich sehe inzwischen nach, wie weit Mrs. Pearson ist. Das dauert ja endlos lange. Nur weil ich einen Schnupfen habe, müssen nicht auch Sie einen bekommen."
Er ging, und Blair gehorchte seiner Aufforderung. Wohlig rann ihr der Cognac durch die Kehle. Sie ließ
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